Thürlemann, Charles Bernard. Entwicklung eines Biosensor-Systems für ein Patienten-Selbstmanagement der Behandlung mit Vitamin K - Antagonisten. 2005, Doctoral Thesis, University of Basel, Faculty of Science.
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Official URL: http://edoc.unibas.ch/diss/DissB_7319
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Abstract
Zur Prävention thromboembolischer Ereignisse stehen heute weltweit rund sechs Millionen Personen unter langzeitiger, oft lebenslanger Medikation mit so genannten oralen Antikoagulanzien, Arzneimittel aus der Wirkstoffgruppe der `Vitamin K – Antagonisten`. Pharmakokinetische Umstände machen eine regelmässige Überwachung dieser Behandlung notwendig. Die Kontrolle basiert auf der Bestimmung der `Thromboplastinzeit`, umgangssprachlich als `Quick-Test` bezeichnet. Gegenstand der vorliegenden Arbeit -Bestandteil eines gemeinsamen Projektes von Universität und Industrie- war die Entwicklung eines neuartigen, auf einem elektrochemischen Messverfahren basierenden Biosensor-Systems, mit welchem sich die Medikation mit oralen Antikoagulanzien durch den Patienten selbständig überwachen liesse. Die Entwicklung basierte auf einem Verfahren, in welchem die plasmatische Gerinnung auf spezifischen Teststreifen `in-vitro` aktiviert, und die Bildung des zentralen Gerinnungsenzyms `Thrombin` chronoamperometrisch erfasst wird, d.h. mittels Aufzeichnung der Intensität eines von der gebildeten Thrombinmenge abhängigen Stromflusses in der Zeit. Das Reaktionsgemisch besteht im wesentlichen aus einem Thromboplastinreagenz zur Gerinnungsaktivierung und einem amperogenen Substrat für Thrombin.
In einem ersten Teil wurden mit verschiedenen Thromboplastinreagenzien zahlreiche Reaktionsgemische hergestellt und auf ihre Eignung getestet. Mehrere `Teststreifenrezepturen` kamen zur Weiterverwendung in Frage. Man wählte jene Formulierung aus, die die Anforderungen des zu entwickelnden Testverfahrens am besten zu erfüllen schien. Bei Optimierungsversuchen konnte dem Trocknungsvorgang ein wesentlicher Einfluss auf das aufgezeichnete Signal zugeschrieben werden und aus diesen Erkenntnissen eine Standardherstellungsprozedur für Teststreifen definiert werden.
Eine Testserie konzentrierte sich auf die Einflüsse während des Messvorganges. Das Zielpublikum sollte das System bei verschiedenen Umgebungsbedingungen nutzen können. Im Unterschied zu den herkömmlichen Methoden der `Quick-Wert-Bestimmung` würde die Reaktion im Biosensor-System nämlich nicht thermostatisiert ablaufen. Die chronoamperometrischen Kurvenverläufe während der Messungen erwiesen sich in nicht zu vernachlässigendem Ausmass von der Umgebungstemperatur und der Luftfeuchtigkeit abhängig. Es konnte nachgewiesen werden, dass die Abhängigkeit von der Luftfeuchtigkeit
mit Verdunstungsreaktionen zusammenhängt und zu einem wesentlichen Teil den grossen Temperatureffekt erklärt. Eine Adaptation der Streifenarchitektur durch `Überdachung` des Reaktionsfeldes, mit Konsequenzen für die Bluttropfenzuführung (von nun an seitlicher Bluteinzug), konnte dieses Problem signifikant mindern.
Als nächstes wurde nach einem Verfahren gesucht, die aus verschiedenen Blutproben resultierenden chronoamperometrischen Messkurven mit dem jeweiligen INR-Wert (International Normalized Ratio – Einheit, welche die Intensität der oralen Antikoagulation beschreibt) in Verbindung zu setzen. Dies wurde durch die Tatsache erschwert, dass der Kurvenverlauf nicht nur von der Intensität der Antikoagulation, sondern eben auch durch die Umgebungstemperatur beeinflusst wurde. Mit zu diesem Zweck bei verschiedenen Temperaturen in einem `Klimaschrank` durchgeführten Messungen von INR-Kalibrationslösungen wurde eine Tabelle erstellt, die den Zusammenhang zwischen Messtemperatur, Messzeit und INR-Wert aufzeigen konnte. Eine Analyse dieser Tabelle liess Gesetzmässigkeiten zwischen INR-Werten, Messtemperaturen und Messzeiten erkennen, woraus schliesslich ein Algorithmus abgeleitet werden konnte, dessen Grundgerüst sich auf Messungen einer definierten Standardstreifencharge bei 22.5°C bezieht, und worauf sich Messungen, die bei anderen Temperaturen durchgeführt wurden, korrigieren lassen.
Ferner wurde eine Methode definiert, mit welcher sich Teststreifenchargen auf einfache Weise mittels Kalibrationslösungen über eine Eichgerade kalibrieren liessen; eine Methode, die ohne das herkömmliche komplexe Verfahren gemäss Weltgesundheitsorganisation (WHO) auskommt. Der Algorithmus wurde durch einen entsprechenden `Chargenkalibrationsfaktor` erweitert, der den INR-Wert hinsichtlich Chargenvariabilität korrigiert. Der Vergleich von mittels Algorithmus abgeleiteten INR-Werten mit denjenigen, welche nach herkömmlicher Methode berechnet wurden, zeigte, dass das gewählte Kalibrationsverfahren grundsätzlich tauglich ist.
Mittels einer klinischen Testreihe mit 38 oral antikoagulierten Patienten und 12 nicht antikoagulierten Probanden, in welcher Plasma- und Kapillarblutproben gemessen wurden, konnte eine Korrelation von Vollblut und Plasma –zu Beginn der Arbeiten postuliert- nachgewiesen und entsprechend im Algorithmus integriert werden. Die Entwicklungsschritte basierten bis zu diesem Zeitpunkt auf Messungen mit Plasma und wurden mittels eines Labor-Potentiostaten durchgeführt. Dieselbe klinische Testreihe diente der generellen Überprüfung
von Messverfahren, von Standardherstellungsprozedur der Teststreifen und von mathematischer Ableitung des Resultates. Aufgrund des positiven Ergebnisses konnten erste Biosensor-Prototypen entsprechend gefertigt und anschliessend in einer Fortsetzung der klinischen Testreihe mit weiteren 42 Patienten und 5 Probanden validiert werden. Die Resultate entsprachen in etwa denjenigen des ersten Teils der Testreihe. Es konnte bestätigt werden, dass die Biosensor-Prototypen gemäss den Anforderungen zusammengestellt und programmiert worden waren.
Als letztes wurde eine Feldstudie durchgeführt, in welcher 33 Patienten in Eigenanwendung zu Hause insgesamt 347 Vergleichsmessungen mittels Biosensor-Prototypen und einem Referenzsystem (CoaguChek®S, Roche Diagnostics) durchführten. Bei den Studienteilnehmern handelte es sich um langzeitig oral antikoagulierte Patienten, die Erfahrung im Selbstmanagement der oralen Antikoagulation hatten. Die klinische Studie diente einerseits als Datenvergleich mit dem Referenzsystem, andererseits aber auch der Evaluation der Benutzerfreundlichkeit des Biosensor-Testsystems. Die Handhabung des Biosensor-Systems wurde insgesamt für `leicht` befunden; gewisse Probleme bereitete das Auftragen des Bluttropfens. Die mittlere Differenz zwischen den INR-Werten der beiden Messmethoden betrug 0.063 INR ± 0.64 über alle Vergleichsmessungen (n = 347) und 0.078 INR ± 0.40 unter alleinigem Einbezug der Patientenmittelwerte (n = 33). Die mittlere Differenz zwischen den INR-Werten der beiden Messmethoden darf als sehr gering bezeichnet werden. Diverse Studien, in welchen das CoaguChek®S-System mit anderen Messmethoden verglichen wurde, zeigen höhere Differenzen auf. Betreffend der hohen Streuung der Werte konnten Ursachen eruiert werden, die durch technische Adaptationen beseitigt oder zumindest vermindert werden können sollten, darunter eine inhomogene Verpackung der Teststreifen sowie die erwähnten Schwierigkeiten beim Bluteinzug.
Es ist gelungen, die entscheidenden Einflüsse auf die Gerinnungsreaktion in-vitro zu kontrollieren und somit aus dem chronoamperometrischen Messverfahren ein Biosensor-System soweit zu entwickeln, dass dieses `richtige` Resultate liefert und bei Anwendung durch den Patienten den Anforderungen eines ersten Feldversuchs standhalten konnte. Hinsichtlich `Präzision` ist noch Potential für eine Optimierung vorhanden.
In einem ersten Teil wurden mit verschiedenen Thromboplastinreagenzien zahlreiche Reaktionsgemische hergestellt und auf ihre Eignung getestet. Mehrere `Teststreifenrezepturen` kamen zur Weiterverwendung in Frage. Man wählte jene Formulierung aus, die die Anforderungen des zu entwickelnden Testverfahrens am besten zu erfüllen schien. Bei Optimierungsversuchen konnte dem Trocknungsvorgang ein wesentlicher Einfluss auf das aufgezeichnete Signal zugeschrieben werden und aus diesen Erkenntnissen eine Standardherstellungsprozedur für Teststreifen definiert werden.
Eine Testserie konzentrierte sich auf die Einflüsse während des Messvorganges. Das Zielpublikum sollte das System bei verschiedenen Umgebungsbedingungen nutzen können. Im Unterschied zu den herkömmlichen Methoden der `Quick-Wert-Bestimmung` würde die Reaktion im Biosensor-System nämlich nicht thermostatisiert ablaufen. Die chronoamperometrischen Kurvenverläufe während der Messungen erwiesen sich in nicht zu vernachlässigendem Ausmass von der Umgebungstemperatur und der Luftfeuchtigkeit abhängig. Es konnte nachgewiesen werden, dass die Abhängigkeit von der Luftfeuchtigkeit
mit Verdunstungsreaktionen zusammenhängt und zu einem wesentlichen Teil den grossen Temperatureffekt erklärt. Eine Adaptation der Streifenarchitektur durch `Überdachung` des Reaktionsfeldes, mit Konsequenzen für die Bluttropfenzuführung (von nun an seitlicher Bluteinzug), konnte dieses Problem signifikant mindern.
Als nächstes wurde nach einem Verfahren gesucht, die aus verschiedenen Blutproben resultierenden chronoamperometrischen Messkurven mit dem jeweiligen INR-Wert (International Normalized Ratio – Einheit, welche die Intensität der oralen Antikoagulation beschreibt) in Verbindung zu setzen. Dies wurde durch die Tatsache erschwert, dass der Kurvenverlauf nicht nur von der Intensität der Antikoagulation, sondern eben auch durch die Umgebungstemperatur beeinflusst wurde. Mit zu diesem Zweck bei verschiedenen Temperaturen in einem `Klimaschrank` durchgeführten Messungen von INR-Kalibrationslösungen wurde eine Tabelle erstellt, die den Zusammenhang zwischen Messtemperatur, Messzeit und INR-Wert aufzeigen konnte. Eine Analyse dieser Tabelle liess Gesetzmässigkeiten zwischen INR-Werten, Messtemperaturen und Messzeiten erkennen, woraus schliesslich ein Algorithmus abgeleitet werden konnte, dessen Grundgerüst sich auf Messungen einer definierten Standardstreifencharge bei 22.5°C bezieht, und worauf sich Messungen, die bei anderen Temperaturen durchgeführt wurden, korrigieren lassen.
Ferner wurde eine Methode definiert, mit welcher sich Teststreifenchargen auf einfache Weise mittels Kalibrationslösungen über eine Eichgerade kalibrieren liessen; eine Methode, die ohne das herkömmliche komplexe Verfahren gemäss Weltgesundheitsorganisation (WHO) auskommt. Der Algorithmus wurde durch einen entsprechenden `Chargenkalibrationsfaktor` erweitert, der den INR-Wert hinsichtlich Chargenvariabilität korrigiert. Der Vergleich von mittels Algorithmus abgeleiteten INR-Werten mit denjenigen, welche nach herkömmlicher Methode berechnet wurden, zeigte, dass das gewählte Kalibrationsverfahren grundsätzlich tauglich ist.
Mittels einer klinischen Testreihe mit 38 oral antikoagulierten Patienten und 12 nicht antikoagulierten Probanden, in welcher Plasma- und Kapillarblutproben gemessen wurden, konnte eine Korrelation von Vollblut und Plasma –zu Beginn der Arbeiten postuliert- nachgewiesen und entsprechend im Algorithmus integriert werden. Die Entwicklungsschritte basierten bis zu diesem Zeitpunkt auf Messungen mit Plasma und wurden mittels eines Labor-Potentiostaten durchgeführt. Dieselbe klinische Testreihe diente der generellen Überprüfung
von Messverfahren, von Standardherstellungsprozedur der Teststreifen und von mathematischer Ableitung des Resultates. Aufgrund des positiven Ergebnisses konnten erste Biosensor-Prototypen entsprechend gefertigt und anschliessend in einer Fortsetzung der klinischen Testreihe mit weiteren 42 Patienten und 5 Probanden validiert werden. Die Resultate entsprachen in etwa denjenigen des ersten Teils der Testreihe. Es konnte bestätigt werden, dass die Biosensor-Prototypen gemäss den Anforderungen zusammengestellt und programmiert worden waren.
Als letztes wurde eine Feldstudie durchgeführt, in welcher 33 Patienten in Eigenanwendung zu Hause insgesamt 347 Vergleichsmessungen mittels Biosensor-Prototypen und einem Referenzsystem (CoaguChek®S, Roche Diagnostics) durchführten. Bei den Studienteilnehmern handelte es sich um langzeitig oral antikoagulierte Patienten, die Erfahrung im Selbstmanagement der oralen Antikoagulation hatten. Die klinische Studie diente einerseits als Datenvergleich mit dem Referenzsystem, andererseits aber auch der Evaluation der Benutzerfreundlichkeit des Biosensor-Testsystems. Die Handhabung des Biosensor-Systems wurde insgesamt für `leicht` befunden; gewisse Probleme bereitete das Auftragen des Bluttropfens. Die mittlere Differenz zwischen den INR-Werten der beiden Messmethoden betrug 0.063 INR ± 0.64 über alle Vergleichsmessungen (n = 347) und 0.078 INR ± 0.40 unter alleinigem Einbezug der Patientenmittelwerte (n = 33). Die mittlere Differenz zwischen den INR-Werten der beiden Messmethoden darf als sehr gering bezeichnet werden. Diverse Studien, in welchen das CoaguChek®S-System mit anderen Messmethoden verglichen wurde, zeigen höhere Differenzen auf. Betreffend der hohen Streuung der Werte konnten Ursachen eruiert werden, die durch technische Adaptationen beseitigt oder zumindest vermindert werden können sollten, darunter eine inhomogene Verpackung der Teststreifen sowie die erwähnten Schwierigkeiten beim Bluteinzug.
Es ist gelungen, die entscheidenden Einflüsse auf die Gerinnungsreaktion in-vitro zu kontrollieren und somit aus dem chronoamperometrischen Messverfahren ein Biosensor-System soweit zu entwickeln, dass dieses `richtige` Resultate liefert und bei Anwendung durch den Patienten den Anforderungen eines ersten Feldversuchs standhalten konnte. Hinsichtlich `Präzision` ist noch Potential für eine Optimierung vorhanden.
Advisors: | Haeberli, André |
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Committee Members: | Leuenberger, Hans and Marbet, German Albert |
Item Type: | Thesis |
Thesis Subtype: | Doctoral Thesis |
Thesis no: | 7319 |
Thesis status: | Complete |
Number of Pages: | 181 |
Language: | German |
Identification Number: |
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edoc DOI: | |
Last Modified: | 24 Sep 2020 21:18 |
Deposited On: | 13 Feb 2009 15:19 |
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