Schöne, Anja. Alltagskultur im Museum : zwischen Anspruch und Realität. 1996, Doctoral Thesis, University of Basel, Faculty of Humanities and Social Sciences.
|
PDF (Testing description field.)
18Mb |
Official URL: http://edoc.unibas.ch/diss/DissB_4763
Downloads: Statistics Overview
Abstract
Heute eine Arbeit über „Alltagskultur im Museum” zu veröffentlichen mutet fast
anachronistisch an. In Zeiten, in denen die Bedeutung von Museumsarbeit vor allem
in Besuchszahlen gemessen wird, in denen Museumsmanagement, Öffentlichkeitsarbeit
und museumspädagogische Aktionen sich verselbständigen, scheint das
Einfordern von wissenschaftlicher Basisarbeit geradezu antiquiert. Und doch finde
ich den Zeitpunkt dafür gerade richtig. Für die Suche nach einer volkskundlichen
Fachidentität spielt die Frage nach der Rolle von Alltagskultur in den Museen, die
als Multiplikatoren der Fachinhalte gelten, eine wichtige Rolle.
In der vorliegenden Arbeit wurden die von der interdisziplinären „Alltagsdiskussion”
vor allem seit den 1970er Jahren postulierten wissenschaftlichen
Ansprüche den innerhalb der Museen gegebenen Möglichkeiten gegenübergestellt.
Die Untersuchung gibt damit einen Überblick über die Fach- und Museumsentwicklung
dieser Zeit und stellt die beiden Institutionen anhand dieses für die Volkskunde
zentralen Themas in Beziehung. Auf diese Weise wird die Problematik von volkskundlicher
Theorie und Praxis sowie von gegenseitigen Anstößen und Wirkungen
beleuchtet.
Die wissenschaftlichen Alltagsdiskussionen, die Museumsdiskussionen und die
aus der Bundesrepublik Deutschland und der Schweiz gewählten Fallbeispiele
ergeben ein so vielfältiges und vielschichtiges Beziehungsgeflecht, daß einzelne
Aspekte noch einmal besonders hervorgehoben werden sollen.
Der Alltagsbegriff
Trotz des Rückgriffs auf die historischen Wurzeln der Alltagsforschung läßt sich
am Ende der Arbeit der Alltagsbegriff nicht klar bestimmen. Die Begriffe Alltag,
Alltagskultur oder auch Mikro-Historie haben ausschließenden Charakter; sie
klingen, als blieben der Nicht-Alltag, die Festtagskultur oder die Makro-Historie
ausgeschlossen und als mache das den neuen Ansatz oder Paradigmenwechsel aus.
Dieser ist – wie sich gezeigt hat – jedoch eher durch den gesellschaftspolitischen
Hintergrund und den subjekt- und lebenskontextorientierten Blickwinkel gegeben.
Diese beiden Aspekte erweisen sich auch als der kleinste gemeinsame Nenner aller
Ansätze aus Soziologie, Geschichte und Volkskunde bzw. der Ethnographie mit
ihrem Begriff der Lebensweise. Im Gegensatz zur Geschichte und Soziologie ist
dieser Ansatz bereits Leitmotiv zahlreicher volkskundlicher Forschungen, bevor es
im Fach eine wissenschaftliche Diskussion um Alltagskultur gegeben hat. Sinnvoll aber vermutlich unrealisierbar wäre es, die Begriffe Alltag, Alltagsgeschichte
und Alltagskultur dem dazugehörigen fachlichen Kontext entsprechend
differenziert zu verwenden, um eine präzisere Verständigung über dieses Thema im
zukünftigen Diskurs zu ermöglichen. Die ungenauen Begriffsvorstellungen, die sich
innerhalb der Fallstudien deutlich gezeigt haben, resultieren vor allem aus dem
Nebeneinander und einer Vermischung des umgangssprachlichen und des wissenschaftlichen
Alltagsbegriffs.
Im Stadtmuseum Hornmoldhaus in Bietigheim-Bissingen und in der Karlsruher
Sonderausstellung sollte „der Alltag” ausgestellt werden, der Begriff „Alltagskultur”
wurde als zu umfassend abgelehnt. Dennoch ist die kulturelle Ebene in
beiden historisch-volkskundlichen Ausstellungen vorhanden. Die Ablehnung der
kulturellen Komponente ist umso erstaunlicher, da die Alltagsgeschichte gegenüber
der Strukturgeschichte gerade eine Erweiterung um kulturelle Akzente beinhaltet.
Der umgangssprachliche und der wissenschaftiche Alltagsbegriff müßten daher
noch durch den Alltagsbegriff als publikumswirksames Schlagwort ergänzt werden.
Alltagsbegriffe im Museum
Von dem gemeinsamen wissenschaftlichen Anliegen einer subjektorienten Alltagsforschung
ausgehend, ist leicht zu erkennen, daß diese Intention mit dem Anspruch
der lokalen Museen korrespondiert. Diese verfügen auch am ehesten über das
entsprechende Dokumentationsmaterial, um dem Anspruch gerecht zu werden.
Gleichzeitig halten sich die Vertreterinnen und Vertreter lokaler Museen bewußt
und unbewußt von der akademischen Diskussion am weitesten fern und legen daher
meist den temporalen Alltagsbegriff zugrunde.
Die überregionalen volkskundlichen Museen haben den wissenschaftlichen
Alltagsbegriff ihren Bedürfnissen entsprechend erweitert, im Museum für Volkskultur
und dem Schweizerischen Landesmuseum um die Strukturgeschichte, im
Freilichtmuseum Ballenberg in dem sehr allgemeinen Sinn, daß authenischer
Wiederaufbau bereits Alltagskultur sei. Diese Alltagsvorstellungen sind teilweise
in intensiver Auseinandersetzung mit der akademischen Diskussion entstanden.
Eine Erweiterung des subjektorientierten, mikrohistorischen Alltagsbegriffs um
makrohistorische Strukturen wurde zwar zeitgleich auch von Universitätsvertretern
gefordert, könnte aber auch ein Beispiel dafür sein, wie ein akademischer Begriff
durch seine praktische Anwendung korrigiert wird. Die Tragfähigkeit von museumsrelevanten
wissenschaftlichen Begriffen in der Praxis zu prüfen könnte ein
Bereich werden, in dem Universitäten von den Museen profitieren können. Alltagsforschung im Vergleich: Deutschland – Schweiz
Obwohl die Arbeit nicht auf einen Vergleich der Alltagskulturforschung in Deutschland
und der Schweiz angelegt ist, sollen die Ansätze in beiden Ländern am Ende
vergleichend resümiert werden.
Die Berücksichtigung von deutschen und schweizerischen Diskussionsbeiträgen
aus Forschung und Museen hat sich als lohnende Erweiterung der Arbeit erwiesen,
da sich durch die Gemeinsamkeiten und Unterschiede bestimmte Strukturen besser
erkennen ließen. In der Bundesrepublik Deutschland wurde vor dem Hintergrund
der gesellschaftspolitischen Situation emotional diskutiert (darin zeigt sich möglicherweise
auch ein spezifischer Diskussionsstil), sowohl auf theoretischer wie auf
museologischer Ebene. In Deutschland war dies bei den Historikern eine polarisierte
Diskussion von Alltagsgeschichte gegen Strukturgeschichte, in der Volkskunde
zunächst tendenziell eine Diskussion von Alltagskultur contra Kanon. In der
Schweiz hingegen hat es kaum eine kontroverse Diskussion von Alltagskonzepten
gegeben. In den Forschungen und Ausstellungen zeigt sich eine Orientierung an der
deutschen Alltagsforschung, aber auch an anderen Einflüssen, z. B. wurde aufgrund
der Mehrsprachigkeit in der Schweiz die internationale Museumsdiskussion wesentlich
stärker rezipiert. Insgesamt ist die Alltagsforschung in der Schweiz integraler
Bestandteil der entsprechenden Fächer und beinhaltet seit Beginn eine Einbindung
der Alltagsperspektive in größere Strukturen.
Ebenso wie in Deutschland bestehen in der Schweiz Probleme in der Umsetzung
des theoretischen Anspruchs in die museologische Praxis. Dies ist also ein
generelles Problem, welches sich auch an der Diskussion um das Museé des Arts
et Traditions Populaires und den Bemühungen des schwedischen SAMDOKProgramms
ablesen läßt.
Alltagskultur und Sachkulturforschung
Kernthema der Arbeit ist das Verhältnis von Alltagstheorien und daraus resultierender
Sammlungs- und Ausstellungspraxis. Dabei wurde stillschweigend der Zwischenschritt,
nämlich die volkskundliche Sachkulturforschung ausgespart. Aufgrund
der bereits genannten Probleme stellt sich die Frage, ob sich denn die Alltagskulturdiskussion
auf die Sachkulturforschung an den Universitäten und vor allem in den
Museen ausgewirkt hat.
An den Universitäten hat, auch im Anschluß an die Alltagsdiskussion, die
volkskundliche Sachkulturforschung einige Jahrzehnte nur eine marginale Rolle
gespielt. Hier findet gerade ein Wandel statt. Sachkulturforschung wird als Lehrveranstaltung mehrfach angeboten1, Tagungen veranstaltet2 und es entstehen
Dissertationen zum Thema, z.B. von Andrea Hauser, die versucht hat, über die
Auswertung von Nachlaßinventaren einen sozial- und mentalitätsgeschichtlichen
Zugang zu finden. Hier konnten subjektive Wahrnehmungs- und Bedeutungsstrukturen
zwar ansatzweise benannt werden, das Verfahren einer Thesenkombination
ist jedoch nicht frei von Spekulation, so daß sich hier die Grenzen des mentalitätsgeschichtlichen
Zugangs anhand von Sachobjekten andeuten.3
In den Museen hat die Alltagsforschung die Sammlungskonzepte verändert.
Darüber hinaus war im Württembergschen Landesmuseum auszumachen, daß die
Perspektive Alltagskultur auch der Sachkulturforschung neue Impulse geben kann.
Dies scheint jedoch eher ein Einzelfall zu sein. Ob das Paradigma Alltagskultur der
Sachkulturforschung auf breiter Basis neue Anregungen bietet, wird möglicherweise
die Tagung der Arbeitsgruppe kulturgeschichtliche Museen beantworten.
Alltagskultur im Museum: Wozu?
Alltagssoziologie und Alltagsgeschichte stellen in Deutschland innerhalb der Fächer
Soziologie und Geschichte relativ abgeschlossene Teildisziplinen dar. Da die
Volkskunde sich wesentlich stärker als „Wissenschaft der Alltagskultur” definiert,
ist sie gezwungen, sowohl zur eigenen Positionierung als auch (teilweise) zur
Abgrenzung ihren Standpunkt und ihre besonderen Erkenntnismöglichkeiten offenzulegen.
Dazu wäre es sinnvoll, den Alltagsbezug innerhalb der frühen Volkskunde
zu betrachten, der von der jüngeren Alltagsdiskussion nur ansatzweise reflektiert
worden ist. Wichtig wäre jedoch auch, daß die Volkskunde sich auf eine fachliche
Identität festlegt – die Alltagskultur sein könnte – und die die Museen nach außen tragen würden.
Die bisherigen wissenschaftlichen Alltagskonzepte gehen nicht nur nicht auf
eine museologische Umsetzung ein, sie beinhalten gerade Forderungen nach Analyse
von Kontexten, subjektiven Einstellungen und mentalen Bereichen, die sich dem
Museum als visuellem Medium zunächst widersetzen (allerdings ist das Museum ja
nicht nur visuelles Medium).
Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch die aktuelle Museumsdiskussion:
beispielsweise findet Hermann Heidrich Freilichtmuseen wenig geeignet, um darin
Alltagskultur auszustellen, und Gottfried Korff spricht von Aporien in der Musealisierung
von Alltag. Die Untersuchung hat weitere Schwierigkeiten bei der Alltagspräsentation
aufgezeigt, beispielsweise daß Museen, die Alltagskultur präsentieren
wollen, trotz alltagsorientierter Sammlungskonzepte seit den 70er/80er Jahren, zu
zahlreichen Themen nicht über entsprechende Objekte verfügen (Württembergisches
Landesmuseum, Schweizerisches Landesmuseum). Angesichts der begrifflichen
und inhaltlichen Schwierigkeiten ist zu fragen, welche Argumente für den
Versuch sprechen, Alltagskultur auszustellen. Drei Argumente sollen genannt
werden:
1. Sofern sich die Volkskunde als Wissenschaft der Alltagskultur versteht, sollte
die Alltagsperspektive auch in den volkskundlichen Museen, die das Fach nach
außen repräsentieren, enthalten sein.
2. In der Fach- und Museumsdiskussion der 70er Jahre wurde in der Bundesrepublik
der Begriff des demokratischen Museums geprägt. Die gesellschaftlichen
Rahmenbedingugen, die für diese Begriffsbildung verantwortlich waren, haben
sich zwar gewandelt, doch die damit verbundenen Forderungen an das Museum,
zu denen auch die Alltagsperspektiven: (Kultur-)Geschichte von unten, (Kultur-
)Geschichte der Vielen und subjektive, geschlechtsspezifische Geschichtserfahrung
(die sich auch an Objekten visualisieren lassen) gehören, sind nach wie vor
aktuell. Dabei bieten Museen andere populäre Informations- und Vermittlungsmöglichkeiten
als beispielsweise Bücher.
3. Die besonderen Möglichkeiten der Alltagsforschung auf lokaler Ebene sollten in
den entsprechenden Museen genutzt, bzw. umgekehrt die Museen in diesen
Bemühungen konstruktiv unterstützt, d.h. beispielsweise in die wissenschaftliche
Diskussion eingebunden werden.
Kulturhistorische Museen und Universität – eine hermeneutische Spirale
Das wichtigste Ergebnis der Arbeit ist, daß Museen und Universitäten eigene
Mikrokosmen sind, deren Ziel nicht unbedingt Austausch, sondern eher Abgrenzung heißt. Dies äußert sich beispielsweise darin, daß sich die Museumsdiskussion
zur Alltagskultur nicht auf die gleichzeitige akademische Diskussion bezog, sondern
an die eigene Institutionengeschichte anknüpfte.
In den Museumsbeispielen zeigten sich mehrfach den Erwartungen widersprechende
Ergebnisse. Während Gottfried Korff den ohne vorherigen Sammlungsbestand
gegründeten Heimatmuseen auch eine inhaltliche Verflachung vorwirft,
zeigt sich im Stadtmuseum Hornmoldhaus, daß durch regelmäßige, an das Alltagsleben
der Bürger anknüpfende Wechselausstellungen (an der die Bevölkerung durch
oral-history beteiligt ist), ein kritisches und aktives Museum entstehen kann, welches
zahlreiche Ansprüche der wissenschaftlichen Debatte erfüllt.
Das Museum für Volkskultur in Waldenbuch entspricht zwar in seinen Vermittlungszielen,
seinem gegenwarts- und alltagsorientierten Sammlungskonzept und
seiner ganzheitliche Lebenszusammenhänge erklärenden Präsentation den wissenschaftlichen
Ansprüchen, dennoch dominiert die Strukturgeschichte gegenüber der
Alltagskultur, dominieren die Objekte gegenüber den Informationen über den
Menschen. Hinzu kommt eine bildungsbürgerliche Besucherstruktur, die kein
demographisches Abbild der Gesellschaft bildet (wobei ein demokratisches Museum
als „Museum für alle” vermutlich eine Utopie bleiben muß).
Eine fast alle Sozialschichten umfassende Besucherstruktur kann das Freilichtmuseum
für ländliche Kultur vorweisen. Um diese zu erhalten, wird auf eine
Umsetzung des kritischen Potentials der Alltagsdiskussionen verzichtet.
Im Verlauf der Arbeit deutet sich immer wieder eine Polarisierung der beiden
Institutionen Universität und Museum an, die von Museumsseite oft als hierarchisches
Verhältnis empfunden wird. Die (wenn auch teilweise gerechtfertigte) massive
Kritik der Universitätsvertreterinnen und -vertreter an den Ergebnissen der
Musealisierung von Alltagskultur hat dazu geführt, daß sich die Museumsvertreterinnen
und -vertreter zunehmend aus dem wissenschaftlichen Austausch mit den
Universitäten zurückziehen. Eine direkte Auseinandersetzung, wie die Kontroverse
Ottenjann – Meiners – Lipp4, bildet eine Ausnahme. So ist es kaum verwunderlich,
daß sich aus den Interviews, der Korrespondenz und aus Gesprächen mit weiteren
Museumsleitenden kein ausgesprochener Wunsch nach einem stärkeren Dialog mit
den Universitäten über eine intensivere Verständigung zur Alltagskulturdiskussion
ablesen ließ. Dies bestätigt noch einmal, daß auch die Museumsvertreterinnen und
-vertreter ihre Institutionen nicht als Repräsentanten fachwissenschaftlicher Forschung nach außen, sondern primär als eigenständige Institutionen ansehen.
Dennoch gibt es Beispiele einer engen und fruchtbaren Zusammenarbeit zwischen
Universität und Museum. Es scheint, als ob das hierarchische Verhältnis dort
weniger empfunden wird, wo der Kontakt zwischen Museum und Universität eng
ist. Offensichtlich treten dabei die Fähigkeiten, aber auch die Grenzen des jeweiligen
Partners deutlicher zutage.
Die von Museumsseite gelegentlich angesprochene Hegemonie wird in der
Bundesrepublik Deutschland durch die Vertretungsverhältnisse innerhalb des DGVVorstands
unterstützt. Das Amt des Präsidenten liegt traditionellerweise in der
Hand eines Professors; gegenwärtig ist eine Stellvertreterstelle von einer Museumsrepräsentantin
besetzt. Im Hauptausschuß von 1996 steht lediglich einer von
insgesamt zehn Sitzen für Vertreter aus dem Museumsbereich zur Verfügung. Im
Vorstand der Schweizerischen Gesellschaft für Volkskunde sind die Zahlenverhältnisse
ähnlich, wobei dieser als Vertretung einer nicht ausschließlich wissenschaftlichen
Gesellschaft anders strukturiert ist.
Dennoch würde ich die Unzufriedenheit mit den museologischen Umsetzungen
der Alltagsdiskussion, wie sie in den Beiträgen von Gottfried Korff, Konrad Köstlin,
Martin Scharfe und Carola Lipp zum Ausdruck kommt, nicht als Plädoyers für
eine Rückkehr zu einem Zustand vor der „Entdeckung des Alltags” werten, sondern
als Reaktionen auf eine Museumsentwicklung, die durch massenhafte Museumsgründungen
aus der Bahn geraten ist. Der in der Einleitung konstatierte Wertewandel
von Alltagskultur im Museum erweist sich bei genauerer Betrachtung als
fortschreitende Entwicklung, die sich innerhalb der Positionen für und wider
Alltagskultur und vor dem Hintergrund der musealen Gegebenheiten vollzieht. Die
zunehmenden Lehrveranstaltungen zur Sachkulturforschung können ebenfalls als
Reaktion auf die Museumssituation betrachtet werden. Die Wechselwirkung
zwischen Universität und kulturhistorischen Museen im Hinblick auf den Umgang
des Menschen mit den Dingen im Alltag ist – wie ich hoffe – dabei, sich als eine
hermeneutische Spirale weiterzuentwickeln.
Rezeptionswege und Rezeptionsbrüche
Die Arbeit hat gezeigt, daß zwischen den Institutionen Universität und Museum nur
selten eine direkte Rezeption von wissenschaftlicher Theorie und musealer Umsetzung
erfolgt. Einige Berührungspunkte ergaben sich auf Tagungen, durch einzelne
Persönlichkeiten (Gottfried Korff und Silke Göttsch gehören zu den wenigen
Universitätswissenschaftlern, die sich an der Alltagsdiskussion beteiligt haben und
die gleichzeitig über Museumserfahrung verfügen) oder einzelne, an der wissenschaftlichen Entwicklung interessierte Museen.
In der Auseinandersetzung um das Thema Alltag als theoretisches Konzept
bleiben Universität und Museum relativ getrennt. Dies hat verschiedene Ursachen:
Zum Teil ist es in den unterschiedlichen Zuständigkeiten begründet. Auf meine
Fragen nach Alltagstheorien erhielt ich in den Museen sinngemäß mehrfach die
Antwort: Wir müssen mit den Objekten arbeiten, was helfen dabei Alltagstheorien.
Aus dieser Antwort läßt sich zweierlei ablesen: Erstens, daß die Universitäten es
nicht ausreichend geschafft haben, die Bedeutung der Alltagskonzepte für die
Museen zu vermitteln. Zweitens, daß die Arbeit in den Museen im Kontext von
Erwartungen und Verpflichtungen so praxis- und objektbezogen ist, daß eine
Auseinandersetzung mit Wissenschaftstheorien kaum zu leisten ist. Dazu haben die
Heterogenität des Alltags, das Vorhandensein mehrerer Alltagskonzepte und
besonders der schwierige Umgang der Volkskunde mit dem Alltag zwischen
Tradition und Innovation beigetragen.
Hier soll nicht der Eindruck entstehen, an Universitäten werde nur theoretisch,
an Museen nur praktisch gearbeitet. Sachkulturforschung hat an Universitäten
bisher jedoch einen geringen Stellenwert gehabt, und die Museen haben das Thema
Sachkulturforschung lange nicht reflektiert. Die Veranstaltung von zwei Tagungen
zur Sachkulturforschung im Jahre 1998 läßt darauf schließen, daß dieser Mangel
behoben werden soll. Ausgehend von dieser Beobachtung ist es notwendig, daß
Universität und Museum kooperieren und einander zuarbeiten. Das hieße beispielsweise,
daß die Museen den Universitäten Sammlungsbestände zur Verfügung
stellen, die dort aufgearbeitet werden, und daß Museen versuchen, Forschungsergebnisse
museologisch umzusetzen. Einige Museen und Universitäten praktizieren
dies bereits. Ergebnisse dieser Zusammenarbeit zeigen sich im „Museum für
Volkskultur in Württemberg”. Voraussetzung für die Realisation ist eine enge Verflechtung
zwischen dem Museum und dem Institut für Empirische Kulturwissenschaft
an der Universität Tübingen sowie eine personalintensive Museumsbetreuung.
Orientierung an den Erwartungen von Besucherinnen und Besuchern
In der Frage nach den Erwartungen der Museumsbesucherinnen und -besucher
zeichnen sich neue Entwicklungen ab, die in der Untersuchung am Beispiel des
Schweizerischen Freilichtmuseums gestreift wurden. Das Interesse dieses Museums
an der Besucherforschung deckt sich mit Bestrebungen, wie sie sich in der neuesten
Publikation des Bonner „Hauses der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland” zu Museums-Fragen äußern.5 In der Ankündigung des Buches heißt es: „Wie
können die Verantwortlichen in Museen und anderen Kultureinrichtungen
publikums- und zukunftsorientiert arbeiten?” Die Koppelung der Besucher- mit der
Zukunftsperspektive erfolgte auch in den 70er Jahren, aber mit anderen Zielen.
Wie die Besucheruntersuchungen des Schweizerischen Freilichtmuseums
zeigen, läßt sich vom wissenschaftlichen Standpunkt die Qualität eines Museums
nicht allein an Besucherzahlen ablesen; Besucherzahlen dürfen daher auch nicht der
alleinige Maßstab für Museumsarbeit werden.
Museen im Spannungsfeld zwischen wissenschaftlichem Auftrag und Rentabilität
Das Spannungsverhältnis von wissenschaftlichem Forschungs- und Dokumentationsauftrag
der Museen und ihrer wirtschaftlichen Effizienz konnte in der Arbeit
nur am Rande gestreift werden. Am Beispiel der Freilichtmuseen läßt sich ansatzweise
ablesen, mit welchen zusätzlichen Schwierigkeiten und Zwängen die museologische
Umsetzung von wissenschaftlichen Anforderungen allgemein und des
Alltagskonzepts im speziellen bei einer (teilweise) privatwirtschaftlichen Nutzung
verbunden ist.
Václav Havel schreibt im Zitat, welches der Arbeit vorangestellt ist, daß die Kultur
das Instrument des „Sichselbstbewußtwerdens” einer Gesellschaft ist. Nach Havel
dient die Kultur (sofern sie sich in Freiheit entwickeln kann) der allgemeinen
Wahrheitsfindung und ist eine moralische Norm. Kultur wird damit zu einer idealistischen
Instanz, ein Gedanke, der auch in der Idee des „demokratischen Museums”
enthalten ist. Auf die kulturhistorischen Museen übertragen, bedeutet dies, daß hier
die Möglichkeit besteht, zu gesellschaftlicher Selbsterkenntnis und Selbstfindung
beizutragen. Die Präsentation von Alltagskultur kann dazu einen entscheidenden
Beitrag leisten. Voraussetzung für das Sichselbstbewußtwerden einer Gesellschaft
in den Museen ist, daß Kultur auch als ethische Instanz verstanden wird und die
kulturhistorischen Museen nicht zu Vollzugsorten von Besuchererwartungen,
Politiker- und Sponsorenwünschen werden.Heute eine Arbeit über „Alltagskultur im Museum” zu veröffentlichen mutet fast
anachronistisch an. In Zeiten, in denen die Bedeutung von Museumsarbeit vor allem
in Besuchszahlen gemessen wird, in denen Museumsmanagement, Öffentlichkeitsarbeit
und museumspädagogische Aktionen sich verselbständigen, scheint das
Einfordern von wissenschaftlicher Basisarbeit geradezu antiquiert. Und doch finde
ich den Zeitpunkt dafür gerade richtig. Für die Suche nach einer volkskundlichen
Fachidentität spielt die Frage nach der Rolle von Alltagskultur in den Museen, die
als Multiplikatoren der Fachinhalte gelten, eine wichtige Rolle.
In der vorliegenden Arbeit wurden die von der interdisziplinären „Alltagsdiskussion”
vor allem seit den 1970er Jahren postulierten wissenschaftlichen
Ansprüche den innerhalb der Museen gegebenen Möglichkeiten gegenübergestellt.
Die Untersuchung gibt damit einen Überblick über die Fach- und Museumsentwicklung
dieser Zeit und stellt die beiden Institutionen anhand dieses für die Volkskunde
zentralen Themas in Beziehung. Auf diese Weise wird die Problematik von volkskundlicher
Theorie und Praxis sowie von gegenseitigen Anstößen und Wirkungen
beleuchtet.
Die wissenschaftlichen Alltagsdiskussionen, die Museumsdiskussionen und die
aus der Bundesrepublik Deutschland und der Schweiz gewählten Fallbeispiele
ergeben ein so vielfältiges und vielschichtiges Beziehungsgeflecht, daß einzelne
Aspekte noch einmal besonders hervorgehoben werden sollen.
Der Alltagsbegriff
Trotz des Rückgriffs auf die historischen Wurzeln der Alltagsforschung läßt sich
am Ende der Arbeit der Alltagsbegriff nicht klar bestimmen. Die Begriffe Alltag,
Alltagskultur oder auch Mikro-Historie haben ausschließenden Charakter; sie
klingen, als blieben der Nicht-Alltag, die Festtagskultur oder die Makro-Historie
ausgeschlossen und als mache das den neuen Ansatz oder Paradigmenwechsel aus.
Dieser ist – wie sich gezeigt hat – jedoch eher durch den gesellschaftspolitischen
Hintergrund und den subjekt- und lebenskontextorientierten Blickwinkel gegeben.
Diese beiden Aspekte erweisen sich auch als der kleinste gemeinsame Nenner aller
Ansätze aus Soziologie, Geschichte und Volkskunde bzw. der Ethnographie mit
ihrem Begriff der Lebensweise. Im Gegensatz zur Geschichte und Soziologie ist
dieser Ansatz bereits Leitmotiv zahlreicher volkskundlicher Forschungen, bevor es
im Fach eine wissenschaftliche Diskussion um Alltagskultur gegeben hat. Sinnvoll aber vermutlich unrealisierbar wäre es, die Begriffe Alltag, Alltagsgeschichte
und Alltagskultur dem dazugehörigen fachlichen Kontext entsprechend
differenziert zu verwenden, um eine präzisere Verständigung über dieses Thema im
zukünftigen Diskurs zu ermöglichen. Die ungenauen Begriffsvorstellungen, die sich
innerhalb der Fallstudien deutlich gezeigt haben, resultieren vor allem aus dem
Nebeneinander und einer Vermischung des umgangssprachlichen und des wissenschaftlichen
Alltagsbegriffs.
Im Stadtmuseum Hornmoldhaus in Bietigheim-Bissingen und in der Karlsruher
Sonderausstellung sollte „der Alltag” ausgestellt werden, der Begriff „Alltagskultur”
wurde als zu umfassend abgelehnt. Dennoch ist die kulturelle Ebene in
beiden historisch-volkskundlichen Ausstellungen vorhanden. Die Ablehnung der
kulturellen Komponente ist umso erstaunlicher, da die Alltagsgeschichte gegenüber
der Strukturgeschichte gerade eine Erweiterung um kulturelle Akzente beinhaltet.
Der umgangssprachliche und der wissenschaftiche Alltagsbegriff müßten daher
noch durch den Alltagsbegriff als publikumswirksames Schlagwort ergänzt werden.
Alltagsbegriffe im Museum
Von dem gemeinsamen wissenschaftlichen Anliegen einer subjektorienten Alltagsforschung
ausgehend, ist leicht zu erkennen, daß diese Intention mit dem Anspruch
der lokalen Museen korrespondiert. Diese verfügen auch am ehesten über das
entsprechende Dokumentationsmaterial, um dem Anspruch gerecht zu werden.
Gleichzeitig halten sich die Vertreterinnen und Vertreter lokaler Museen bewußt
und unbewußt von der akademischen Diskussion am weitesten fern und legen daher
meist den temporalen Alltagsbegriff zugrunde.
Die überregionalen volkskundlichen Museen haben den wissenschaftlichen
Alltagsbegriff ihren Bedürfnissen entsprechend erweitert, im Museum für Volkskultur
und dem Schweizerischen Landesmuseum um die Strukturgeschichte, im
Freilichtmuseum Ballenberg in dem sehr allgemeinen Sinn, daß authenischer
Wiederaufbau bereits Alltagskultur sei. Diese Alltagsvorstellungen sind teilweise
in intensiver Auseinandersetzung mit der akademischen Diskussion entstanden.
Eine Erweiterung des subjektorientierten, mikrohistorischen Alltagsbegriffs um
makrohistorische Strukturen wurde zwar zeitgleich auch von Universitätsvertretern
gefordert, könnte aber auch ein Beispiel dafür sein, wie ein akademischer Begriff
durch seine praktische Anwendung korrigiert wird. Die Tragfähigkeit von museumsrelevanten
wissenschaftlichen Begriffen in der Praxis zu prüfen könnte ein
Bereich werden, in dem Universitäten von den Museen profitieren können. Alltagsforschung im Vergleich: Deutschland – Schweiz
Obwohl die Arbeit nicht auf einen Vergleich der Alltagskulturforschung in Deutschland
und der Schweiz angelegt ist, sollen die Ansätze in beiden Ländern am Ende
vergleichend resümiert werden.
Die Berücksichtigung von deutschen und schweizerischen Diskussionsbeiträgen
aus Forschung und Museen hat sich als lohnende Erweiterung der Arbeit erwiesen,
da sich durch die Gemeinsamkeiten und Unterschiede bestimmte Strukturen besser
erkennen ließen. In der Bundesrepublik Deutschland wurde vor dem Hintergrund
der gesellschaftspolitischen Situation emotional diskutiert (darin zeigt sich möglicherweise
auch ein spezifischer Diskussionsstil), sowohl auf theoretischer wie auf
museologischer Ebene. In Deutschland war dies bei den Historikern eine polarisierte
Diskussion von Alltagsgeschichte gegen Strukturgeschichte, in der Volkskunde
zunächst tendenziell eine Diskussion von Alltagskultur contra Kanon. In der
Schweiz hingegen hat es kaum eine kontroverse Diskussion von Alltagskonzepten
gegeben. In den Forschungen und Ausstellungen zeigt sich eine Orientierung an der
deutschen Alltagsforschung, aber auch an anderen Einflüssen, z. B. wurde aufgrund
der Mehrsprachigkeit in der Schweiz die internationale Museumsdiskussion wesentlich
stärker rezipiert. Insgesamt ist die Alltagsforschung in der Schweiz integraler
Bestandteil der entsprechenden Fächer und beinhaltet seit Beginn eine Einbindung
der Alltagsperspektive in größere Strukturen.
Ebenso wie in Deutschland bestehen in der Schweiz Probleme in der Umsetzung
des theoretischen Anspruchs in die museologische Praxis. Dies ist also ein
generelles Problem, welches sich auch an der Diskussion um das Museé des Arts
et Traditions Populaires und den Bemühungen des schwedischen SAMDOKProgramms
ablesen läßt.
Alltagskultur und Sachkulturforschung
Kernthema der Arbeit ist das Verhältnis von Alltagstheorien und daraus resultierender
Sammlungs- und Ausstellungspraxis. Dabei wurde stillschweigend der Zwischenschritt,
nämlich die volkskundliche Sachkulturforschung ausgespart. Aufgrund
der bereits genannten Probleme stellt sich die Frage, ob sich denn die Alltagskulturdiskussion
auf die Sachkulturforschung an den Universitäten und vor allem in den
Museen ausgewirkt hat.
An den Universitäten hat, auch im Anschluß an die Alltagsdiskussion, die
volkskundliche Sachkulturforschung einige Jahrzehnte nur eine marginale Rolle
gespielt. Hier findet gerade ein Wandel statt. Sachkulturforschung wird als Lehrveranstaltung mehrfach angeboten1, Tagungen veranstaltet2 und es entstehen
Dissertationen zum Thema, z.B. von Andrea Hauser, die versucht hat, über die
Auswertung von Nachlaßinventaren einen sozial- und mentalitätsgeschichtlichen
Zugang zu finden. Hier konnten subjektive Wahrnehmungs- und Bedeutungsstrukturen
zwar ansatzweise benannt werden, das Verfahren einer Thesenkombination
ist jedoch nicht frei von Spekulation, so daß sich hier die Grenzen des mentalitätsgeschichtlichen
Zugangs anhand von Sachobjekten andeuten.3
In den Museen hat die Alltagsforschung die Sammlungskonzepte verändert.
Darüber hinaus war im Württembergschen Landesmuseum auszumachen, daß die
Perspektive Alltagskultur auch der Sachkulturforschung neue Impulse geben kann.
Dies scheint jedoch eher ein Einzelfall zu sein. Ob das Paradigma Alltagskultur der
Sachkulturforschung auf breiter Basis neue Anregungen bietet, wird möglicherweise
die Tagung der Arbeitsgruppe kulturgeschichtliche Museen beantworten.
Alltagskultur im Museum: Wozu?
Alltagssoziologie und Alltagsgeschichte stellen in Deutschland innerhalb der Fächer
Soziologie und Geschichte relativ abgeschlossene Teildisziplinen dar. Da die
Volkskunde sich wesentlich stärker als „Wissenschaft der Alltagskultur” definiert,
ist sie gezwungen, sowohl zur eigenen Positionierung als auch (teilweise) zur
Abgrenzung ihren Standpunkt und ihre besonderen Erkenntnismöglichkeiten offenzulegen.
Dazu wäre es sinnvoll, den Alltagsbezug innerhalb der frühen Volkskunde
zu betrachten, der von der jüngeren Alltagsdiskussion nur ansatzweise reflektiert
worden ist. Wichtig wäre jedoch auch, daß die Volkskunde sich auf eine fachliche
Identität festlegt – die Alltagskultur sein könnte – und die die Museen nach außen tragen würden.
Die bisherigen wissenschaftlichen Alltagskonzepte gehen nicht nur nicht auf
eine museologische Umsetzung ein, sie beinhalten gerade Forderungen nach Analyse
von Kontexten, subjektiven Einstellungen und mentalen Bereichen, die sich dem
Museum als visuellem Medium zunächst widersetzen (allerdings ist das Museum ja
nicht nur visuelles Medium).
Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch die aktuelle Museumsdiskussion:
beispielsweise findet Hermann Heidrich Freilichtmuseen wenig geeignet, um darin
Alltagskultur auszustellen, und Gottfried Korff spricht von Aporien in der Musealisierung
von Alltag. Die Untersuchung hat weitere Schwierigkeiten bei der Alltagspräsentation
aufgezeigt, beispielsweise daß Museen, die Alltagskultur präsentieren
wollen, trotz alltagsorientierter Sammlungskonzepte seit den 70er/80er Jahren, zu
zahlreichen Themen nicht über entsprechende Objekte verfügen (Württembergisches
Landesmuseum, Schweizerisches Landesmuseum). Angesichts der begrifflichen
und inhaltlichen Schwierigkeiten ist zu fragen, welche Argumente für den
Versuch sprechen, Alltagskultur auszustellen. Drei Argumente sollen genannt
werden:
1. Sofern sich die Volkskunde als Wissenschaft der Alltagskultur versteht, sollte
die Alltagsperspektive auch in den volkskundlichen Museen, die das Fach nach
außen repräsentieren, enthalten sein.
2. In der Fach- und Museumsdiskussion der 70er Jahre wurde in der Bundesrepublik
der Begriff des demokratischen Museums geprägt. Die gesellschaftlichen
Rahmenbedingugen, die für diese Begriffsbildung verantwortlich waren, haben
sich zwar gewandelt, doch die damit verbundenen Forderungen an das Museum,
zu denen auch die Alltagsperspektiven: (Kultur-)Geschichte von unten, (Kultur-
)Geschichte der Vielen und subjektive, geschlechtsspezifische Geschichtserfahrung
(die sich auch an Objekten visualisieren lassen) gehören, sind nach wie vor
aktuell. Dabei bieten Museen andere populäre Informations- und Vermittlungsmöglichkeiten
als beispielsweise Bücher.
3. Die besonderen Möglichkeiten der Alltagsforschung auf lokaler Ebene sollten in
den entsprechenden Museen genutzt, bzw. umgekehrt die Museen in diesen
Bemühungen konstruktiv unterstützt, d.h. beispielsweise in die wissenschaftliche
Diskussion eingebunden werden.
Kulturhistorische Museen und Universität – eine hermeneutische Spirale
Das wichtigste Ergebnis der Arbeit ist, daß Museen und Universitäten eigene
Mikrokosmen sind, deren Ziel nicht unbedingt Austausch, sondern eher Abgrenzung heißt. Dies äußert sich beispielsweise darin, daß sich die Museumsdiskussion
zur Alltagskultur nicht auf die gleichzeitige akademische Diskussion bezog, sondern
an die eigene Institutionengeschichte anknüpfte.
In den Museumsbeispielen zeigten sich mehrfach den Erwartungen widersprechende
Ergebnisse. Während Gottfried Korff den ohne vorherigen Sammlungsbestand
gegründeten Heimatmuseen auch eine inhaltliche Verflachung vorwirft,
zeigt sich im Stadtmuseum Hornmoldhaus, daß durch regelmäßige, an das Alltagsleben
der Bürger anknüpfende Wechselausstellungen (an der die Bevölkerung durch
oral-history beteiligt ist), ein kritisches und aktives Museum entstehen kann, welches
zahlreiche Ansprüche der wissenschaftlichen Debatte erfüllt.
Das Museum für Volkskultur in Waldenbuch entspricht zwar in seinen Vermittlungszielen,
seinem gegenwarts- und alltagsorientierten Sammlungskonzept und
seiner ganzheitliche Lebenszusammenhänge erklärenden Präsentation den wissenschaftlichen
Ansprüchen, dennoch dominiert die Strukturgeschichte gegenüber der
Alltagskultur, dominieren die Objekte gegenüber den Informationen über den
Menschen. Hinzu kommt eine bildungsbürgerliche Besucherstruktur, die kein
demographisches Abbild der Gesellschaft bildet (wobei ein demokratisches Museum
als „Museum für alle” vermutlich eine Utopie bleiben muß).
Eine fast alle Sozialschichten umfassende Besucherstruktur kann das Freilichtmuseum
für ländliche Kultur vorweisen. Um diese zu erhalten, wird auf eine
Umsetzung des kritischen Potentials der Alltagsdiskussionen verzichtet.
Im Verlauf der Arbeit deutet sich immer wieder eine Polarisierung der beiden
Institutionen Universität und Museum an, die von Museumsseite oft als hierarchisches
Verhältnis empfunden wird. Die (wenn auch teilweise gerechtfertigte) massive
Kritik der Universitätsvertreterinnen und -vertreter an den Ergebnissen der
Musealisierung von Alltagskultur hat dazu geführt, daß sich die Museumsvertreterinnen
und -vertreter zunehmend aus dem wissenschaftlichen Austausch mit den
Universitäten zurückziehen. Eine direkte Auseinandersetzung, wie die Kontroverse
Ottenjann – Meiners – Lipp4, bildet eine Ausnahme. So ist es kaum verwunderlich,
daß sich aus den Interviews, der Korrespondenz und aus Gesprächen mit weiteren
Museumsleitenden kein ausgesprochener Wunsch nach einem stärkeren Dialog mit
den Universitäten über eine intensivere Verständigung zur Alltagskulturdiskussion
ablesen ließ. Dies bestätigt noch einmal, daß auch die Museumsvertreterinnen und
-vertreter ihre Institutionen nicht als Repräsentanten fachwissenschaftlicher Forschung nach außen, sondern primär als eigenständige Institutionen ansehen.
Dennoch gibt es Beispiele einer engen und fruchtbaren Zusammenarbeit zwischen
Universität und Museum. Es scheint, als ob das hierarchische Verhältnis dort
weniger empfunden wird, wo der Kontakt zwischen Museum und Universität eng
ist. Offensichtlich treten dabei die Fähigkeiten, aber auch die Grenzen des jeweiligen
Partners deutlicher zutage.
Die von Museumsseite gelegentlich angesprochene Hegemonie wird in der
Bundesrepublik Deutschland durch die Vertretungsverhältnisse innerhalb des DGVVorstands
unterstützt. Das Amt des Präsidenten liegt traditionellerweise in der
Hand eines Professors; gegenwärtig ist eine Stellvertreterstelle von einer Museumsrepräsentantin
besetzt. Im Hauptausschuß von 1996 steht lediglich einer von
insgesamt zehn Sitzen für Vertreter aus dem Museumsbereich zur Verfügung. Im
Vorstand der Schweizerischen Gesellschaft für Volkskunde sind die Zahlenverhältnisse
ähnlich, wobei dieser als Vertretung einer nicht ausschließlich wissenschaftlichen
Gesellschaft anders strukturiert ist.
Dennoch würde ich die Unzufriedenheit mit den museologischen Umsetzungen
der Alltagsdiskussion, wie sie in den Beiträgen von Gottfried Korff, Konrad Köstlin,
Martin Scharfe und Carola Lipp zum Ausdruck kommt, nicht als Plädoyers für
eine Rückkehr zu einem Zustand vor der „Entdeckung des Alltags” werten, sondern
als Reaktionen auf eine Museumsentwicklung, die durch massenhafte Museumsgründungen
aus der Bahn geraten ist. Der in der Einleitung konstatierte Wertewandel
von Alltagskultur im Museum erweist sich bei genauerer Betrachtung als
fortschreitende Entwicklung, die sich innerhalb der Positionen für und wider
Alltagskultur und vor dem Hintergrund der musealen Gegebenheiten vollzieht. Die
zunehmenden Lehrveranstaltungen zur Sachkulturforschung können ebenfalls als
Reaktion auf die Museumssituation betrachtet werden. Die Wechselwirkung
zwischen Universität und kulturhistorischen Museen im Hinblick auf den Umgang
des Menschen mit den Dingen im Alltag ist – wie ich hoffe – dabei, sich als eine
hermeneutische Spirale weiterzuentwickeln.
Rezeptionswege und Rezeptionsbrüche
Die Arbeit hat gezeigt, daß zwischen den Institutionen Universität und Museum nur
selten eine direkte Rezeption von wissenschaftlicher Theorie und musealer Umsetzung
erfolgt. Einige Berührungspunkte ergaben sich auf Tagungen, durch einzelne
Persönlichkeiten (Gottfried Korff und Silke Göttsch gehören zu den wenigen
Universitätswissenschaftlern, die sich an der Alltagsdiskussion beteiligt haben und
die gleichzeitig über Museumserfahrung verfügen) oder einzelne, an der wissenschaftlichen Entwicklung interessierte Museen.
In der Auseinandersetzung um das Thema Alltag als theoretisches Konzept
bleiben Universität und Museum relativ getrennt. Dies hat verschiedene Ursachen:
Zum Teil ist es in den unterschiedlichen Zuständigkeiten begründet. Auf meine
Fragen nach Alltagstheorien erhielt ich in den Museen sinngemäß mehrfach die
Antwort: Wir müssen mit den Objekten arbeiten, was helfen dabei Alltagstheorien.
Aus dieser Antwort läßt sich zweierlei ablesen: Erstens, daß die Universitäten es
nicht ausreichend geschafft haben, die Bedeutung der Alltagskonzepte für die
Museen zu vermitteln. Zweitens, daß die Arbeit in den Museen im Kontext von
Erwartungen und Verpflichtungen so praxis- und objektbezogen ist, daß eine
Auseinandersetzung mit Wissenschaftstheorien kaum zu leisten ist. Dazu haben die
Heterogenität des Alltags, das Vorhandensein mehrerer Alltagskonzepte und
besonders der schwierige Umgang der Volkskunde mit dem Alltag zwischen
Tradition und Innovation beigetragen.
Hier soll nicht der Eindruck entstehen, an Universitäten werde nur theoretisch,
an Museen nur praktisch gearbeitet. Sachkulturforschung hat an Universitäten
bisher jedoch einen geringen Stellenwert gehabt, und die Museen haben das Thema
Sachkulturforschung lange nicht reflektiert. Die Veranstaltung von zwei Tagungen
zur Sachkulturforschung im Jahre 1998 läßt darauf schließen, daß dieser Mangel
behoben werden soll. Ausgehend von dieser Beobachtung ist es notwendig, daß
Universität und Museum kooperieren und einander zuarbeiten. Das hieße beispielsweise,
daß die Museen den Universitäten Sammlungsbestände zur Verfügung
stellen, die dort aufgearbeitet werden, und daß Museen versuchen, Forschungsergebnisse
museologisch umzusetzen. Einige Museen und Universitäten praktizieren
dies bereits. Ergebnisse dieser Zusammenarbeit zeigen sich im „Museum für
Volkskultur in Württemberg”. Voraussetzung für die Realisation ist eine enge Verflechtung
zwischen dem Museum und dem Institut für Empirische Kulturwissenschaft
an der Universität Tübingen sowie eine personalintensive Museumsbetreuung.
Orientierung an den Erwartungen von Besucherinnen und Besuchern
In der Frage nach den Erwartungen der Museumsbesucherinnen und -besucher
zeichnen sich neue Entwicklungen ab, die in der Untersuchung am Beispiel des
Schweizerischen Freilichtmuseums gestreift wurden. Das Interesse dieses Museums
an der Besucherforschung deckt sich mit Bestrebungen, wie sie sich in der neuesten
Publikation des Bonner „Hauses der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland” zu Museums-Fragen äußern.5 In der Ankündigung des Buches heißt es: „Wie
können die Verantwortlichen in Museen und anderen Kultureinrichtungen
publikums- und zukunftsorientiert arbeiten?” Die Koppelung der Besucher- mit der
Zukunftsperspektive erfolgte auch in den 70er Jahren, aber mit anderen Zielen.
Wie die Besucheruntersuchungen des Schweizerischen Freilichtmuseums
zeigen, läßt sich vom wissenschaftlichen Standpunkt die Qualität eines Museums
nicht allein an Besucherzahlen ablesen; Besucherzahlen dürfen daher auch nicht der
alleinige Maßstab für Museumsarbeit werden.
Museen im Spannungsfeld zwischen wissenschaftlichem Auftrag und Rentabilität
Das Spannungsverhältnis von wissenschaftlichem Forschungs- und Dokumentationsauftrag
der Museen und ihrer wirtschaftlichen Effizienz konnte in der Arbeit
nur am Rande gestreift werden. Am Beispiel der Freilichtmuseen läßt sich ansatzweise
ablesen, mit welchen zusätzlichen Schwierigkeiten und Zwängen die museologische
Umsetzung von wissenschaftlichen Anforderungen allgemein und des
Alltagskonzepts im speziellen bei einer (teilweise) privatwirtschaftlichen Nutzung
verbunden ist.
Václav Havel schreibt im Zitat, welches der Arbeit vorangestellt ist, daß die Kultur
das Instrument des „Sichselbstbewußtwerdens” einer Gesellschaft ist. Nach Havel
dient die Kultur (sofern sie sich in Freiheit entwickeln kann) der allgemeinen
Wahrheitsfindung und ist eine moralische Norm. Kultur wird damit zu einer idealistischen
Instanz, ein Gedanke, der auch in der Idee des „demokratischen Museums”
enthalten ist. Auf die kulturhistorischen Museen übertragen, bedeutet dies, daß hier
die Möglichkeit besteht, zu gesellschaftlicher Selbsterkenntnis und Selbstfindung
beizutragen. Die Präsentation von Alltagskultur kann dazu einen entscheidenden
Beitrag leisten. Voraussetzung für das Sichselbstbewußtwerden einer Gesellschaft
in den Museen ist, daß Kultur auch als ethische Instanz verstanden wird und die
kulturhistorischen Museen nicht zu Vollzugsorten von Besuchererwartungen,
Politiker- und Sponsorenwünschen werden.
Heute eine Arbeit über „Alltagskultur im Museum” zu veröffentlichen mutet fast
anachronistisch an. In Zeiten, in denen die Bedeutung von Museumsarbeit vor allem
in Besuchszahlen gemessen wird, in denen Museumsmanagement, Öffentlichkeitsarbeit
und museumspädagogische Aktionen sich verselbständigen, scheint das
Einfordern von wissenschaftlicher Basisarbeit geradezu antiquiert. Und doch finde
ich den Zeitpunkt dafür gerade richtig. Für die Suche nach einer volkskundlichen
Fachidentität spielt die Frage nach der Rolle von Alltagskultur in den Museen, die
als Multiplikatoren der Fachinhalte gelten, eine wichtige Rolle.
In der vorliegenden Arbeit wurden die von der interdisziplinären „Alltagsdiskussion”
vor allem seit den 1970er Jahren postulierten wissenschaftlichen
Ansprüche den innerhalb der Museen gegebenen Möglichkeiten gegenübergestellt.
Die Untersuchung gibt damit einen Überblick über die Fach- und Museumsentwicklung
dieser Zeit und stellt die beiden Institutionen anhand dieses für die Volkskunde
zentralen Themas in Beziehung. Auf diese Weise wird die Problematik von volkskundlicher
Theorie und Praxis sowie von gegenseitigen Anstößen und Wirkungen
beleuchtet.
Die wissenschaftlichen Alltagsdiskussionen, die Museumsdiskussionen und die
aus der Bundesrepublik Deutschland und der Schweiz gewählten Fallbeispiele
ergeben ein so vielfältiges und vielschichtiges Beziehungsgeflecht, daß einzelne
Aspekte noch einmal besonders hervorgehoben werden sollen.
Der Alltagsbegriff
Trotz des Rückgriffs auf die historischen Wurzeln der Alltagsforschung läßt sich
am Ende der Arbeit der Alltagsbegriff nicht klar bestimmen. Die Begriffe Alltag,
Alltagskultur oder auch Mikro-Historie haben ausschließenden Charakter; sie
klingen, als blieben der Nicht-Alltag, die Festtagskultur oder die Makro-Historie
ausgeschlossen und als mache das den neuen Ansatz oder Paradigmenwechsel aus.
Dieser ist – wie sich gezeigt hat – jedoch eher durch den gesellschaftspolitischen
Hintergrund und den subjekt- und lebenskontextorientierten Blickwinkel gegeben.
Diese beiden Aspekte erweisen sich auch als der kleinste gemeinsame Nenner aller
Ansätze aus Soziologie, Geschichte und Volkskunde bzw. der Ethnographie mit
ihrem Begriff der Lebensweise. Im Gegensatz zur Geschichte und Soziologie ist
dieser Ansatz bereits Leitmotiv zahlreicher volkskundlicher Forschungen, bevor es
im Fach eine wissenschaftliche Diskussion um Alltagskultur gegeben hat. Sinnvoll aber vermutlich unrealisierbar wäre es, die Begriffe Alltag, Alltagsgeschichte
und Alltagskultur dem dazugehörigen fachlichen Kontext entsprechend
differenziert zu verwenden, um eine präzisere Verständigung über dieses Thema im
zukünftigen Diskurs zu ermöglichen. Die ungenauen Begriffsvorstellungen, die sich
innerhalb der Fallstudien deutlich gezeigt haben, resultieren vor allem aus dem
Nebeneinander und einer Vermischung des umgangssprachlichen und des wissenschaftlichen
Alltagsbegriffs.
Im Stadtmuseum Hornmoldhaus in Bietigheim-Bissingen und in der Karlsruher
Sonderausstellung sollte „der Alltag” ausgestellt werden, der Begriff „Alltagskultur”
wurde als zu umfassend abgelehnt. Dennoch ist die kulturelle Ebene in
beiden historisch-volkskundlichen Ausstellungen vorhanden. Die Ablehnung der
kulturellen Komponente ist umso erstaunlicher, da die Alltagsgeschichte gegenüber
der Strukturgeschichte gerade eine Erweiterung um kulturelle Akzente beinhaltet.
Der umgangssprachliche und der wissenschaftiche Alltagsbegriff müßten daher
noch durch den Alltagsbegriff als publikumswirksames Schlagwort ergänzt werden.
Alltagsbegriffe im Museum
Von dem gemeinsamen wissenschaftlichen Anliegen einer subjektorienten Alltagsforschung
ausgehend, ist leicht zu erkennen, daß diese Intention mit dem Anspruch
der lokalen Museen korrespondiert. Diese verfügen auch am ehesten über das
entsprechende Dokumentationsmaterial, um dem Anspruch gerecht zu werden.
Gleichzeitig halten sich die Vertreterinnen und Vertreter lokaler Museen bewußt
und unbewußt von der akademischen Diskussion am weitesten fern und legen daher
meist den temporalen Alltagsbegriff zugrunde.
Die überregionalen volkskundlichen Museen haben den wissenschaftlichen
Alltagsbegriff ihren Bedürfnissen entsprechend erweitert, im Museum für Volkskultur
und dem Schweizerischen Landesmuseum um die Strukturgeschichte, im
Freilichtmuseum Ballenberg in dem sehr allgemeinen Sinn, daß authenischer
Wiederaufbau bereits Alltagskultur sei. Diese Alltagsvorstellungen sind teilweise
in intensiver Auseinandersetzung mit der akademischen Diskussion entstanden.
Eine Erweiterung des subjektorientierten, mikrohistorischen Alltagsbegriffs um
makrohistorische Strukturen wurde zwar zeitgleich auch von Universitätsvertretern
gefordert, könnte aber auch ein Beispiel dafür sein, wie ein akademischer Begriff
durch seine praktische Anwendung korrigiert wird. Die Tragfähigkeit von museumsrelevanten
wissenschaftlichen Begriffen in der Praxis zu prüfen könnte ein
Bereich werden, in dem Universitäten von den Museen profitieren können. Alltagsforschung im Vergleich: Deutschland – Schweiz
Obwohl die Arbeit nicht auf einen Vergleich der Alltagskulturforschung in Deutschland
und der Schweiz angelegt ist, sollen die Ansätze in beiden Ländern am Ende
vergleichend resümiert werden.
Die Berücksichtigung von deutschen und schweizerischen Diskussionsbeiträgen
aus Forschung und Museen hat sich als lohnende Erweiterung der Arbeit erwiesen,
da sich durch die Gemeinsamkeiten und Unterschiede bestimmte Strukturen besser
erkennen ließen. In der Bundesrepublik Deutschland wurde vor dem Hintergrund
der gesellschaftspolitischen Situation emotional diskutiert (darin zeigt sich möglicherweise
auch ein spezifischer Diskussionsstil), sowohl auf theoretischer wie auf
museologischer Ebene. In Deutschland war dies bei den Historikern eine polarisierte
Diskussion von Alltagsgeschichte gegen Strukturgeschichte, in der Volkskunde
zunächst tendenziell eine Diskussion von Alltagskultur contra Kanon. In der
Schweiz hingegen hat es kaum eine kontroverse Diskussion von Alltagskonzepten
gegeben. In den Forschungen und Ausstellungen zeigt sich eine Orientierung an der
deutschen Alltagsforschung, aber auch an anderen Einflüssen, z. B. wurde aufgrund
der Mehrsprachigkeit in der Schweiz die internationale Museumsdiskussion wesentlich
stärker rezipiert. Insgesamt ist die Alltagsforschung in der Schweiz integraler
Bestandteil der entsprechenden Fächer und beinhaltet seit Beginn eine Einbindung
der Alltagsperspektive in größere Strukturen.
Ebenso wie in Deutschland bestehen in der Schweiz Probleme in der Umsetzung
des theoretischen Anspruchs in die museologische Praxis. Dies ist also ein
generelles Problem, welches sich auch an der Diskussion um das Museé des Arts
et Traditions Populaires und den Bemühungen des schwedischen SAMDOKProgramms
ablesen läßt.
Alltagskultur und Sachkulturforschung
Kernthema der Arbeit ist das Verhältnis von Alltagstheorien und daraus resultierender
Sammlungs- und Ausstellungspraxis. Dabei wurde stillschweigend der Zwischenschritt,
nämlich die volkskundliche Sachkulturforschung ausgespart. Aufgrund
der bereits genannten Probleme stellt sich die Frage, ob sich denn die Alltagskulturdiskussion
auf die Sachkulturforschung an den Universitäten und vor allem in den
Museen ausgewirkt hat.
An den Universitäten hat, auch im Anschluß an die Alltagsdiskussion, die
volkskundliche Sachkulturforschung einige Jahrzehnte nur eine marginale Rolle
gespielt. Hier findet gerade ein Wandel statt. Sachkulturforschung wird als Lehrveranstaltung mehrfach angeboten1, Tagungen veranstaltet2 und es entstehen
Dissertationen zum Thema, z.B. von Andrea Hauser, die versucht hat, über die
Auswertung von Nachlaßinventaren einen sozial- und mentalitätsgeschichtlichen
Zugang zu finden. Hier konnten subjektive Wahrnehmungs- und Bedeutungsstrukturen
zwar ansatzweise benannt werden, das Verfahren einer Thesenkombination
ist jedoch nicht frei von Spekulation, so daß sich hier die Grenzen des mentalitätsgeschichtlichen
Zugangs anhand von Sachobjekten andeuten.3
In den Museen hat die Alltagsforschung die Sammlungskonzepte verändert.
Darüber hinaus war im Württembergschen Landesmuseum auszumachen, daß die
Perspektive Alltagskultur auch der Sachkulturforschung neue Impulse geben kann.
Dies scheint jedoch eher ein Einzelfall zu sein. Ob das Paradigma Alltagskultur der
Sachkulturforschung auf breiter Basis neue Anregungen bietet, wird möglicherweise
die Tagung der Arbeitsgruppe kulturgeschichtliche Museen beantworten.
Alltagskultur im Museum: Wozu?
Alltagssoziologie und Alltagsgeschichte stellen in Deutschland innerhalb der Fächer
Soziologie und Geschichte relativ abgeschlossene Teildisziplinen dar. Da die
Volkskunde sich wesentlich stärker als „Wissenschaft der Alltagskultur” definiert,
ist sie gezwungen, sowohl zur eigenen Positionierung als auch (teilweise) zur
Abgrenzung ihren Standpunkt und ihre besonderen Erkenntnismöglichkeiten offenzulegen.
Dazu wäre es sinnvoll, den Alltagsbezug innerhalb der frühen Volkskunde
zu betrachten, der von der jüngeren Alltagsdiskussion nur ansatzweise reflektiert
worden ist. Wichtig wäre jedoch auch, daß die Volkskunde sich auf eine fachliche
Identität festlegt – die Alltagskultur sein könnte – und die die Museen nach außen tragen würden.
Die bisherigen wissenschaftlichen Alltagskonzepte gehen nicht nur nicht auf
eine museologische Umsetzung ein, sie beinhalten gerade Forderungen nach Analyse
von Kontexten, subjektiven Einstellungen und mentalen Bereichen, die sich dem
Museum als visuellem Medium zunächst widersetzen (allerdings ist das Museum ja
nicht nur visuelles Medium).
Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch die aktuelle Museumsdiskussion:
beispielsweise findet Hermann Heidrich Freilichtmuseen wenig geeignet, um darin
Alltagskultur auszustellen, und Gottfried Korff spricht von Aporien in der Musealisierung
von Alltag. Die Untersuchung hat weitere Schwierigkeiten bei der Alltagspräsentation
aufgezeigt, beispielsweise daß Museen, die Alltagskultur präsentieren
wollen, trotz alltagsorientierter Sammlungskonzepte seit den 70er/80er Jahren, zu
zahlreichen Themen nicht über entsprechende Objekte verfügen (Württembergisches
Landesmuseum, Schweizerisches Landesmuseum). Angesichts der begrifflichen
und inhaltlichen Schwierigkeiten ist zu fragen, welche Argumente für den
Versuch sprechen, Alltagskultur auszustellen. Drei Argumente sollen genannt
werden:
1. Sofern sich die Volkskunde als Wissenschaft der Alltagskultur versteht, sollte
die Alltagsperspektive auch in den volkskundlichen Museen, die das Fach nach
außen repräsentieren, enthalten sein.
2. In der Fach- und Museumsdiskussion der 70er Jahre wurde in der Bundesrepublik
der Begriff des demokratischen Museums geprägt. Die gesellschaftlichen
Rahmenbedingugen, die für diese Begriffsbildung verantwortlich waren, haben
sich zwar gewandelt, doch die damit verbundenen Forderungen an das Museum,
zu denen auch die Alltagsperspektiven: (Kultur-)Geschichte von unten, (Kultur-
)Geschichte der Vielen und subjektive, geschlechtsspezifische Geschichtserfahrung
(die sich auch an Objekten visualisieren lassen) gehören, sind nach wie vor
aktuell. Dabei bieten Museen andere populäre Informations- und Vermittlungsmöglichkeiten
als beispielsweise Bücher.
3. Die besonderen Möglichkeiten der Alltagsforschung auf lokaler Ebene sollten in
den entsprechenden Museen genutzt, bzw. umgekehrt die Museen in diesen
Bemühungen konstruktiv unterstützt, d.h. beispielsweise in die wissenschaftliche
Diskussion eingebunden werden.
Kulturhistorische Museen und Universität – eine hermeneutische Spirale
Das wichtigste Ergebnis der Arbeit ist, daß Museen und Universitäten eigene
Mikrokosmen sind, deren Ziel nicht unbedingt Austausch, sondern eher Abgrenzung heißt. Dies äußert sich beispielsweise darin, daß sich die Museumsdiskussion
zur Alltagskultur nicht auf die gleichzeitige akademische Diskussion bezog, sondern
an die eigene Institutionengeschichte anknüpfte.
In den Museumsbeispielen zeigten sich mehrfach den Erwartungen widersprechende
Ergebnisse. Während Gottfried Korff den ohne vorherigen Sammlungsbestand
gegründeten Heimatmuseen auch eine inhaltliche Verflachung vorwirft,
zeigt sich im Stadtmuseum Hornmoldhaus, daß durch regelmäßige, an das Alltagsleben
der Bürger anknüpfende Wechselausstellungen (an der die Bevölkerung durch
oral-history beteiligt ist), ein kritisches und aktives Museum entstehen kann, welches
zahlreiche Ansprüche der wissenschaftlichen Debatte erfüllt.
Das Museum für Volkskultur in Waldenbuch entspricht zwar in seinen Vermittlungszielen,
seinem gegenwarts- und alltagsorientierten Sammlungskonzept und
seiner ganzheitliche Lebenszusammenhänge erklärenden Präsentation den wissenschaftlichen
Ansprüchen, dennoch dominiert die Strukturgeschichte gegenüber der
Alltagskultur, dominieren die Objekte gegenüber den Informationen über den
Menschen. Hinzu kommt eine bildungsbürgerliche Besucherstruktur, die kein
demographisches Abbild der Gesellschaft bildet (wobei ein demokratisches Museum
als „Museum für alle” vermutlich eine Utopie bleiben muß).
Eine fast alle Sozialschichten umfassende Besucherstruktur kann das Freilichtmuseum
für ländliche Kultur vorweisen. Um diese zu erhalten, wird auf eine
Umsetzung des kritischen Potentials der Alltagsdiskussionen verzichtet.
Im Verlauf der Arbeit deutet sich immer wieder eine Polarisierung der beiden
Institutionen Universität und Museum an, die von Museumsseite oft als hierarchisches
Verhältnis empfunden wird. Die (wenn auch teilweise gerechtfertigte) massive
Kritik der Universitätsvertreterinnen und -vertreter an den Ergebnissen der
Musealisierung von Alltagskultur hat dazu geführt, daß sich die Museumsvertreterinnen
und -vertreter zunehmend aus dem wissenschaftlichen Austausch mit den
Universitäten zurückziehen. Eine direkte Auseinandersetzung, wie die Kontroverse
Ottenjann – Meiners – Lipp4, bildet eine Ausnahme. So ist es kaum verwunderlich,
daß sich aus den Interviews, der Korrespondenz und aus Gesprächen mit weiteren
Museumsleitenden kein ausgesprochener Wunsch nach einem stärkeren Dialog mit
den Universitäten über eine intensivere Verständigung zur Alltagskulturdiskussion
ablesen ließ. Dies bestätigt noch einmal, daß auch die Museumsvertreterinnen und
-vertreter ihre Institutionen nicht als Repräsentanten fachwissenschaftlicher Forschung nach außen, sondern primär als eigenständige Institutionen ansehen.
Dennoch gibt es Beispiele einer engen und fruchtbaren Zusammenarbeit zwischen
Universität und Museum. Es scheint, als ob das hierarchische Verhältnis dort
weniger empfunden wird, wo der Kontakt zwischen Museum und Universität eng
ist. Offensichtlich treten dabei die Fähigkeiten, aber auch die Grenzen des jeweiligen
Partners deutlicher zutage.
Die von Museumsseite gelegentlich angesprochene Hegemonie wird in der
Bundesrepublik Deutschland durch die Vertretungsverhältnisse innerhalb des DGVVorstands
unterstützt. Das Amt des Präsidenten liegt traditionellerweise in der
Hand eines Professors; gegenwärtig ist eine Stellvertreterstelle von einer Museumsrepräsentantin
besetzt. Im Hauptausschuß von 1996 steht lediglich einer von
insgesamt zehn Sitzen für Vertreter aus dem Museumsbereich zur Verfügung. Im
Vorstand der Schweizerischen Gesellschaft für Volkskunde sind die Zahlenverhältnisse
ähnlich, wobei dieser als Vertretung einer nicht ausschließlich wissenschaftlichen
Gesellschaft anders strukturiert ist.
Dennoch würde ich die Unzufriedenheit mit den museologischen Umsetzungen
der Alltagsdiskussion, wie sie in den Beiträgen von Gottfried Korff, Konrad Köstlin,
Martin Scharfe und Carola Lipp zum Ausdruck kommt, nicht als Plädoyers für
eine Rückkehr zu einem Zustand vor der „Entdeckung des Alltags” werten, sondern
als Reaktionen auf eine Museumsentwicklung, die durch massenhafte Museumsgründungen
aus der Bahn geraten ist. Der in der Einleitung konstatierte Wertewandel
von Alltagskultur im Museum erweist sich bei genauerer Betrachtung als
fortschreitende Entwicklung, die sich innerhalb der Positionen für und wider
Alltagskultur und vor dem Hintergrund der musealen Gegebenheiten vollzieht. Die
zunehmenden Lehrveranstaltungen zur Sachkulturforschung können ebenfalls als
Reaktion auf die Museumssituation betrachtet werden. Die Wechselwirkung
zwischen Universität und kulturhistorischen Museen im Hinblick auf den Umgang
des Menschen mit den Dingen im Alltag ist – wie ich hoffe – dabei, sich als eine
hermeneutische Spirale weiterzuentwickeln.
Rezeptionswege und Rezeptionsbrüche
Die Arbeit hat gezeigt, daß zwischen den Institutionen Universität und Museum nur
selten eine direkte Rezeption von wissenschaftlicher Theorie und musealer Umsetzung
erfolgt. Einige Berührungspunkte ergaben sich auf Tagungen, durch einzelne
Persönlichkeiten (Gottfried Korff und Silke Göttsch gehören zu den wenigen
Universitätswissenschaftlern, die sich an der Alltagsdiskussion beteiligt haben und
die gleichzeitig über Museumserfahrung verfügen) oder einzelne, an der wissenschaftlichen Entwicklung interessierte Museen.
In der Auseinandersetzung um das Thema Alltag als theoretisches Konzept
bleiben Universität und Museum relativ getrennt. Dies hat verschiedene Ursachen:
Zum Teil ist es in den unterschiedlichen Zuständigkeiten begründet. Auf meine
Fragen nach Alltagstheorien erhielt ich in den Museen sinngemäß mehrfach die
Antwort: Wir müssen mit den Objekten arbeiten, was helfen dabei Alltagstheorien.
Aus dieser Antwort läßt sich zweierlei ablesen: Erstens, daß die Universitäten es
nicht ausreichend geschafft haben, die Bedeutung der Alltagskonzepte für die
Museen zu vermitteln. Zweitens, daß die Arbeit in den Museen im Kontext von
Erwartungen und Verpflichtungen so praxis- und objektbezogen ist, daß eine
Auseinandersetzung mit Wissenschaftstheorien kaum zu leisten ist. Dazu haben die
Heterogenität des Alltags, das Vorhandensein mehrerer Alltagskonzepte und
besonders der schwierige Umgang der Volkskunde mit dem Alltag zwischen
Tradition und Innovation beigetragen.
Hier soll nicht der Eindruck entstehen, an Universitäten werde nur theoretisch,
an Museen nur praktisch gearbeitet. Sachkulturforschung hat an Universitäten
bisher jedoch einen geringen Stellenwert gehabt, und die Museen haben das Thema
Sachkulturforschung lange nicht reflektiert. Die Veranstaltung von zwei Tagungen
zur Sachkulturforschung im Jahre 1998 läßt darauf schließen, daß dieser Mangel
behoben werden soll. Ausgehend von dieser Beobachtung ist es notwendig, daß
Universität und Museum kooperieren und einander zuarbeiten. Das hieße beispielsweise,
daß die Museen den Universitäten Sammlungsbestände zur Verfügung
stellen, die dort aufgearbeitet werden, und daß Museen versuchen, Forschungsergebnisse
museologisch umzusetzen. Einige Museen und Universitäten praktizieren
dies bereits. Ergebnisse dieser Zusammenarbeit zeigen sich im „Museum für
Volkskultur in Württemberg”. Voraussetzung für die Realisation ist eine enge Verflechtung
zwischen dem Museum und dem Institut für Empirische Kulturwissenschaft
an der Universität Tübingen sowie eine personalintensive Museumsbetreuung.
Orientierung an den Erwartungen von Besucherinnen und Besuchern
In der Frage nach den Erwartungen der Museumsbesucherinnen und -besucher
zeichnen sich neue Entwicklungen ab, die in der Untersuchung am Beispiel des
Schweizerischen Freilichtmuseums gestreift wurden. Das Interesse dieses Museums
an der Besucherforschung deckt sich mit Bestrebungen, wie sie sich in der neuesten
Publikation des Bonner „Hauses der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland” zu Museums-Fragen äußern.5 In der Ankündigung des Buches heißt es: „Wie
können die Verantwortlichen in Museen und anderen Kultureinrichtungen
publikums- und zukunftsorientiert arbeiten?” Die Koppelung der Besucher- mit der
Zukunftsperspektive erfolgte auch in den 70er Jahren, aber mit anderen Zielen.
Wie die Besucheruntersuchungen des Schweizerischen Freilichtmuseums
zeigen, läßt sich vom wissenschaftlichen Standpunkt die Qualität eines Museums
nicht allein an Besucherzahlen ablesen; Besucherzahlen dürfen daher auch nicht der
alleinige Maßstab für Museumsarbeit werden.
Museen im Spannungsfeld zwischen wissenschaftlichem Auftrag und Rentabilität
Das Spannungsverhältnis von wissenschaftlichem Forschungs- und Dokumentationsauftrag
der Museen und ihrer wirtschaftlichen Effizienz konnte in der Arbeit
65535
65535
65535
65535
65535
65535
65535
65535
65535
65535
65535
65535
65535
65535Heute eine Arbeit über „Alltagskultur im Museum” zu veröffentlichen mutet fast
anachronistisch an. In Zeiten, in denen die Bedeutung von Museumsarbeit vor allem
in Besuchszahlen gemessen wird, in denen Museumsmanagement, Öffentlichkeitsarbeit
und museumspädagogische Aktionen sich verselbständigen, scheint das
Einfordern von wissenschaftlicher Basisarbeit geradezu antiquiert. Und doch finde
ich den Zeitpunkt dafür gerade richtig. Für die Suche nach einer volkskundlichen
Fachidentität spielt die Frage nach der Rolle von Alltagskultur in den Museen, die
als Multiplikatoren der Fachinhalte gelten, eine wichtige Rolle.
In der vorliegenden Arbeit wurden die von der interdisziplinären „Alltagsdiskussion”
vor allem seit den 1970er Jahren postulierten wissenschaftlichen
Ansprüche den innerhalb der Museen gegebenen Möglichkeiten gegenübergestellt.
Die Untersuchung gibt damit einen Überblick über die Fach- und Museumsentwicklung
dieser Zeit und stellt die beiden
anachronistisch an. In Zeiten, in denen die Bedeutung von Museumsarbeit vor allem
in Besuchszahlen gemessen wird, in denen Museumsmanagement, Öffentlichkeitsarbeit
und museumspädagogische Aktionen sich verselbständigen, scheint das
Einfordern von wissenschaftlicher Basisarbeit geradezu antiquiert. Und doch finde
ich den Zeitpunkt dafür gerade richtig. Für die Suche nach einer volkskundlichen
Fachidentität spielt die Frage nach der Rolle von Alltagskultur in den Museen, die
als Multiplikatoren der Fachinhalte gelten, eine wichtige Rolle.
In der vorliegenden Arbeit wurden die von der interdisziplinären „Alltagsdiskussion”
vor allem seit den 1970er Jahren postulierten wissenschaftlichen
Ansprüche den innerhalb der Museen gegebenen Möglichkeiten gegenübergestellt.
Die Untersuchung gibt damit einen Überblick über die Fach- und Museumsentwicklung
dieser Zeit und stellt die beiden Institutionen anhand dieses für die Volkskunde
zentralen Themas in Beziehung. Auf diese Weise wird die Problematik von volkskundlicher
Theorie und Praxis sowie von gegenseitigen Anstößen und Wirkungen
beleuchtet.
Die wissenschaftlichen Alltagsdiskussionen, die Museumsdiskussionen und die
aus der Bundesrepublik Deutschland und der Schweiz gewählten Fallbeispiele
ergeben ein so vielfältiges und vielschichtiges Beziehungsgeflecht, daß einzelne
Aspekte noch einmal besonders hervorgehoben werden sollen.
Der Alltagsbegriff
Trotz des Rückgriffs auf die historischen Wurzeln der Alltagsforschung läßt sich
am Ende der Arbeit der Alltagsbegriff nicht klar bestimmen. Die Begriffe Alltag,
Alltagskultur oder auch Mikro-Historie haben ausschließenden Charakter; sie
klingen, als blieben der Nicht-Alltag, die Festtagskultur oder die Makro-Historie
ausgeschlossen und als mache das den neuen Ansatz oder Paradigmenwechsel aus.
Dieser ist – wie sich gezeigt hat – jedoch eher durch den gesellschaftspolitischen
Hintergrund und den subjekt- und lebenskontextorientierten Blickwinkel gegeben.
Diese beiden Aspekte erweisen sich auch als der kleinste gemeinsame Nenner aller
Ansätze aus Soziologie, Geschichte und Volkskunde bzw. der Ethnographie mit
ihrem Begriff der Lebensweise. Im Gegensatz zur Geschichte und Soziologie ist
dieser Ansatz bereits Leitmotiv zahlreicher volkskundlicher Forschungen, bevor es
im Fach eine wissenschaftliche Diskussion um Alltagskultur gegeben hat. Sinnvoll aber vermutlich unrealisierbar wäre es, die Begriffe Alltag, Alltagsgeschichte
und Alltagskultur dem dazugehörigen fachlichen Kontext entsprechend
differenziert zu verwenden, um eine präzisere Verständigung über dieses Thema im
zukünftigen Diskurs zu ermöglichen. Die ungenauen Begriffsvorstellungen, die sich
innerhalb der Fallstudien deutlich gezeigt haben, resultieren vor allem aus dem
Nebeneinander und einer Vermischung des umgangssprachlichen und des wissenschaftlichen
Alltagsbegriffs.
Im Stadtmuseum Hornmoldhaus in Bietigheim-Bissingen und in der Karlsruher
Sonderausstellung sollte „der Alltag” ausgestellt werden, der Begriff „Alltagskultur”
wurde als zu umfassend abgelehnt. Dennoch ist die kulturelle Ebene in
beiden historisch-volkskundlichen Ausstellungen vorhanden. Die Ablehnung der
kulturellen Komponente ist umso erstaunlicher, da die Alltagsgeschichte gegenüber
der Strukturgeschichte gerade eine Erweiterung um kulturelle Akzente beinhaltet.
Der umgangssprachliche und der wissenschaftiche Alltagsbegriff müßten daher
noch durch den Alltagsbegriff als publikumswirksames Schlagwort ergänzt werden.
Alltagsbegriffe im Museum
Von dem gemeinsamen wissenschaftlichen Anliegen einer subjektorienten Alltagsforschung
ausgehend, ist leicht zu erkennen, daß diese Intention mit dem Anspruch
der lokalen Museen korrespondiert. Diese verfügen auch am ehesten über das
entsprechende Dokumentationsmaterial, um dem Anspruch gerecht zu werden.
Gleichzeitig halten sich die Vertreterinnen und Vertreter lokaler Museen bewußt
und unbewußt von der akademischen Diskussion am weitesten fern und legen daher
meist den temporalen Alltagsbegriff zugrunde.
Die überregionalen volkskundlichen Museen haben den wissenschaftlichen
Alltagsbegriff ihren Bedürfnissen entsprechend erweitert, im Museum für Volkskultur
und dem Schweizerischen Landesmuseum um die Strukturgeschichte, im
Freilichtmuseum Ballenberg in dem sehr allgemeinen Sinn, daß authenischer
Wiederaufbau bereits Alltagskultur sei. Diese Alltagsvorstellungen sind teilweise
in intensiver Auseinandersetzung mit der akademischen Diskussion entstanden.
Eine Erweiterung des subjektorientierten, mikrohistorischen Alltagsbegriffs um
makrohistorische Strukturen wurde zwar zeitgleich auch von Universitätsvertretern
gefordert, könnte aber auch ein Beispiel dafür sein, wie ein akademischer Begriff
durch seine praktische Anwendung korrigiert wird. Die Tragfähigkeit von museumsrelevanten
wissenschaftlichen Begriffen in der Praxis zu prüfen könnte ein
Bereich werden, in dem Universitäten von den Museen profitieren können. Alltagsforschung im Vergleich: Deutschland – Schweiz
Obwohl die Arbeit nicht auf einen Vergleich der Alltagskulturforschung in Deutschland
und der Schweiz angelegt ist, sollen die Ansätze in beiden Ländern am Ende
vergleichend resümiert werden.
Die Berücksichtigung von deutschen und schweizerischen Diskussionsbeiträgen
aus Forschung und Museen hat sich als lohnende Erweiterung der Arbeit erwiesen,
da sich durch die Gemeinsamkeiten und Unterschiede bestimmte Strukturen besser
erkennen ließen. In der Bundesrepublik Deutschland wurde vor dem Hintergrund
der gesellschaftspolitischen Situation emotional diskutiert (darin zeigt sich möglicherweise
auch ein spezifischer Diskussionsstil), sowohl auf theoretischer wie auf
museologischer Ebene. In Deutschland war dies bei den Historikern eine polarisierte
Diskussion von Alltagsgeschichte gegen Strukturgeschichte, in der Volkskunde
zunächst tendenziell eine Diskussion von Alltagskultur contra Kanon. In der
Schweiz hingegen hat es kaum eine kontroverse Diskussion von Alltagskonzepten
gegeben. In den Forschungen und Ausstellungen zeigt sich eine Orientierung an der
deutschen Alltagsforschung, aber auch an anderen Einflüssen, z. B. wurde aufgrund
der Mehrsprachigkeit in der Schweiz die internationale Museumsdiskussion wesentlich
stärker rezipiert. Insgesamt ist die Alltagsforschung in der Schweiz integraler
Bestandteil der entsprechenden Fächer und beinhaltet seit Beginn eine Einbindung
der Alltagsperspektive in größere Strukturen.
Ebenso wie in Deutschland bestehen in der Schweiz Probleme in der Umsetzung
des theoretischen Anspruchs in die museologische Praxis. Dies ist also ein
generelles Problem, welches sich auch an der Diskussion um das Museé des Arts
et Traditions Populaires und den Bemühungen des schwedischen SAMDOKProgramms
ablesen läßt.
Alltagskultur und Sachkulturforschung
Kernthema der Arbeit ist das Verhältnis von Alltagstheorien und daraus resultierender
Sammlungs- und Ausstellungspraxis. Dabei wurde stillschweigend der Zwischenschritt,
nämlich die volkskundliche Sachkulturforschung ausgespart. Aufgrund
der bereits genannten Probleme stellt sich die Frage, ob sich denn die Alltagskulturdiskussion
auf die Sachkulturforschung an den Universitäten und vor allem in den
Museen ausgewirkt hat.
An den Universitäten hat, auch im Anschluß an die Alltagsdiskussion, die
volkskundliche Sachkulturforschung einige Jahrzehnte nur eine marginale Rolle
gespielt. Hier findet gerade ein Wandel statt. Sachkulturforschung wird als Lehrveranstaltung mehrfach angeboten1, Tagungen veranstaltet2 und es entstehen
Dissertationen zum Thema, z.B. von Andrea Hauser, die versucht hat, über die
Auswertung von Nachlaßinventaren einen sozial- und mentalitätsgeschichtlichen
Zugang zu finden. Hier konnten subjektive Wahrnehmungs- und Bedeutungsstrukturen
zwar ansatzweise benannt werden, das Verfahren einer Thesenkombination
ist jedoch nicht frei von Spekulation, so daß sich hier die Grenzen des mentalitätsgeschichtlichen
Zugangs anhand von Sachobjekten andeuten.3
In den Museen hat die Alltagsforschung die Sammlungskonzepte verändert.
Darüber hinaus war im Württembergschen Landesmuseum auszumachen, daß die
Perspektive Alltagskultur auch der Sachkulturforschung neue Impulse geben kann.
Dies scheint jedoch eher ein Einzelfall zu sein. Ob das Paradigma Alltagskultur der
Sachkulturforschung auf breiter Basis neue Anregungen bietet, wird möglicherweise
die Tagung der Arbeitsgruppe kulturgeschichtliche Museen beantworten.
Alltagskultur im Museum: Wozu?
Alltagssoziologie und Alltagsgeschichte stellen in Deutschland innerhalb der Fächer
Soziologie und Geschichte relativ abgeschlossene Teildisziplinen dar. Da die
Volkskunde sich wesentlich stärker als „Wissenschaft der Alltagskultur” definiert,
ist sie gezwungen, sowohl zur eigenen Positionierung als auch (teilweise) zur
Abgrenzung ihren Standpunkt und ihre besonderen Erkenntnismöglichkeiten offenzulegen.
Dazu wäre es sinnvoll, den Alltagsbezug innerhalb der frühen Volkskunde
zu betrachten, der von der jüngeren Alltagsdiskussion nur ansatzweise reflektiert
worden ist. Wichtig wäre jedoch auch, daß die Volkskunde sich auf eine fachliche
Identität festlegt – die Alltagskultur sein könnte – und die die Museen nach außen tragen würden.
Die bisherigen wissenschaftlichen Alltagskonzepte gehen nicht nur nicht auf
eine museologische Umsetzung ein, sie beinhalten gerade Forderungen nach Analyse
von Kontexten, subjektiven Einstellungen und mentalen Bereichen, die sich dem
Museum als visuellem Medium zunächst widersetzen (allerdings ist das Museum ja
nicht nur visuelles Medium).
Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch die aktuelle Museumsdiskussion:
beispielsweise findet Hermann Heidrich Freilichtmuseen wenig geeignet, um darin
Alltagskultur auszustellen, und Gottfried Korff spricht von Aporien in der Musealisierung
von Alltag. Die Untersuchung hat weitere Schwierigkeiten bei der Alltagspräsentation
aufgezeigt, beispielsweise daß Museen, die Alltagskultur präsentieren
wollen, trotz alltagsorientierter Sammlungskonzepte seit den 70er/80er Jahren, zu
zahlreichen Themen nicht über entsprechende Objekte verfügen (Württembergisches
Landesmuseum, Schweizerisches Landesmuseum). Angesichts der begrifflichen
und inhaltlichen Schwierigkeiten ist zu fragen, welche Argumente für den
Versuch sprechen, Alltagskultur auszustellen. Drei Argumente sollen genannt
werden:
1. Sofern sich die Volkskunde als Wissenschaft der Alltagskultur versteht, sollte
die Alltagsperspektive auch in den volkskundlichen Museen, die das Fach nach
außen repräsentieren, enthalten sein.
2. In der Fach- und Museumsdiskussion der 70er Jahre wurde in der Bundesrepublik
der Begriff des demokratischen Museums geprägt. Die gesellschaftlichen
Rahmenbedingugen, die für diese Begriffsbildung verantwortlich waren, haben
sich zwar gewandelt, doch die damit verbundenen Forderungen an das Museum,
zu denen auch die Alltagsperspektiven: (Kultur-)Geschichte von unten, (Kultur-
)Geschichte der Vielen und subjektive, geschlechtsspezifische Geschichtserfahrung
(die sich auch an Objekten visualisieren lassen) gehören, sind nach wie vor
aktuell. Dabei bieten Museen andere populäre Informations- und Vermittlungsmöglichkeiten
als beispielsweise Bücher.
3. Die besonderen Möglichkeiten der Alltagsforschung auf lokaler Ebene sollten in
den entsprechenden Museen genutzt, bzw. umgekehrt die Museen in diesen
Bemühungen konstruktiv unterstützt, d.h. beispielsweise in die wissenschaftliche
Diskussion eingebunden werden.
Kulturhistorische Museen und Universität – eine hermeneutische Spirale
Das wichtigste Ergebnis der Arbeit ist, daß Museen und Universitäten eigene
Mikrokosmen sind, deren Ziel nicht unbedingt Austausch, sondern eher Abgrenzung heißt. Dies äußert sich beispielsweise darin, daß sich die Museumsdiskussion
zur Alltagskultur nicht auf die gleichzeitige akademische Diskussion bezog, sondern
an die eigene Institutionengeschichte anknüpfte.
In den Museumsbeispielen zeigten sich mehrfach den Erwartungen widersprechende
Ergebnisse. Während Gottfried Korff den ohne vorherigen Sammlungsbestand
gegründeten Heimatmuseen auch eine inhaltliche Verflachung vorwirft,
zeigt sich im Stadtmuseum Hornmoldhaus, daß durch regelmäßige, an das Alltagsleben
der Bürger anknüpfende Wechselausstellungen (an der die Bevölkerung durch
oral-history beteiligt ist), ein kritisches und aktives Museum entstehen kann, welches
zahlreiche Ansprüche der wissenschaftlichen Debatte erfüllt.
Das Museum für Volkskultur in Waldenbuch entspricht zwar in seinen Vermittlungszielen,
seinem gegenwarts- und alltagsorientierten Sammlungskonzept und
seiner ganzheitliche Lebenszusammenhänge erklärenden Präsentation den wissenschaftlichen
Ansprüchen, dennoch dominiert die Strukturgeschichte gegenüber der
Alltagskultur, dominieren die Objekte gegenüber den Informationen über den
Menschen. Hinzu kommt eine bildungsbürgerliche Besucherstruktur, die kein
demographisches Abbild der Gesellschaft bildet (wobei ein demokratisches Museum
als „Museum für alle” vermutlich eine Utopie bleiben muß).
Eine fast alle Sozialschichten umfassende Besucherstruktur kann das Freilichtmuseum
für ländliche Kultur vorweisen. Um diese zu erhalten, wird auf eine
Umsetzung des kritischen Potentials der Alltagsdiskussionen verzichtet.
Im Verlauf der Arbeit deutet sich immer wieder eine Polarisierung der beiden
Institutionen Universität und Museum an, die von Museumsseite oft als hierarchisches
Verhältnis empfunden wird. Die (wenn auch teilweise gerechtfertigte) massive
Kritik der Universitätsvertreterinnen und -vertreter an den Ergebnissen der
Musealisierung von Alltagskultur hat dazu geführt, daß sich die Museumsvertreterinnen
und -vertreter zunehmend aus dem wissenschaftlichen Austausch mit den
Universitäten zurückziehen. Eine direkte Auseinandersetzung, wie die Kontroverse
Ottenjann – Meiners – Lipp4, bildet eine Ausnahme. So ist es kaum verwunderlich,
daß sich aus den Interviews, der Korrespondenz und aus Gesprächen mit weiteren
Museumsleitenden kein ausgesprochener Wunsch nach einem stärkeren Dialog mit
den Universitäten über eine intensivere Verständigung zur Alltagskulturdiskussion
ablesen ließ. Dies bestätigt noch einmal, daß auch die Museumsvertreterinnen und
-vertreter ihre Institutionen nicht als Repräsentanten fachwissenschaftlicher Forschung nach außen, sondern primär als eigenständige Institutionen ansehen.
Dennoch gibt es Beispiele einer engen und fruchtbaren Zusammenarbeit zwischen
Universität und Museum. Es scheint, als ob das hierarchische Verhältnis dort
weniger empfunden wird, wo der Kontakt zwischen Museum und Universität eng
ist. Offensichtlich treten dabei die Fähigkeiten, aber auch die Grenzen des jeweiligen
Partners deutlicher zutage.
Die von Museumsseite gelegentlich angesprochene Hegemonie wird in der
Bundesrepublik Deutschland durch die Vertretungsverhältnisse innerhalb des DGVVorstands
unterstützt. Das Amt des Präsidenten liegt traditionellerweise in der
Hand eines Professors; gegenwärtig ist eine Stellvertreterstelle von einer Museumsrepräsentantin
besetzt. Im Hauptausschuß von 1996 steht lediglich einer von
insgesamt zehn Sitzen für Vertreter aus dem Museumsbereich zur Verfügung. Im
Vorstand der Schweizerischen Gesellschaft für Volkskunde sind die Zahlenverhältnisse
ähnlich, wobei dieser als Vertretung einer nicht ausschließlich wissenschaftlichen
Gesellschaft anders strukturiert ist.
Dennoch würde ich die Unzufriedenheit mit den museologischen Umsetzungen
der Alltagsdiskussion, wie sie in den Beiträgen von Gottfried Korff, Konrad Köstlin,
Martin Scharfe und Carola Lipp zum Ausdruck kommt, nicht als Plädoyers für
eine Rückkehr zu einem Zustand vor der „Entdeckung des Alltags” werten, sondern
als Reaktionen auf eine Museumsentwicklung, die durch massenhafte Museumsgründungen
aus der Bahn geraten ist. Der in der Einleitung konstatierte Wertewandel
von Alltagskultur im Museum erweist sich bei genauerer Betrachtung als
fortschreitende Entwicklung, die sich innerhalb der Positionen für und wider
Alltagskultur und vor dem Hintergrund der musealen Gegebenheiten vollzieht. Die
zunehmenden Lehrveranstaltungen zur Sachkulturforschung können ebenfalls als
Reaktion auf die Museumssituation betrachtet werden. Die Wechselwirkung
zwischen Universität und kulturhistorischen Museen im Hinblick auf den Umgang
des Menschen mit den Dingen im Alltag ist – wie ich hoffe – dabei, sich als eine
hermeneutische Spirale weiterzuentwickeln.
Rezeptionswege und Rezeptionsbrüche
Die Arbeit hat gezeigt, daß zwischen den Institutionen Universität und Museum nur
selten eine direkte Rezeption von wissenschaftlicher Theorie und musealer Umsetzung
erfolgt. Einige Berührungspunkte ergaben sich auf Tagungen, durch einzelne
Persönlichkeiten (Gottfried Korff und Silke Göttsch gehören zu den wenigen
Universitätswissenschaftlern, die sich an der Alltagsdiskussion beteiligt haben und
die gleichzeitig über Museumserfahrung verfügen) oder einzelne, an der wissenschaftlichen Entwicklung interessierte Museen.
In der Auseinandersetzung um das Thema Alltag als theoretisches Konzept
bleiben Universität und Museum relativ getrennt. Dies hat verschiedene Ursachen:
Zum Teil ist es in den unterschiedlichen Zuständigkeiten begründet. Auf meine
Fragen nach Alltagstheorien erhielt ich in den Museen sinngemäß mehrfach die
Antwort: Wir müssen mit den Objekten arbeiten, was helfen dabei Alltagstheorien.
Aus dieser Antwort läßt sich zweierlei ablesen: Erstens, daß die Universitäten es
nicht ausreichend geschafft haben, die Bedeutung der Alltagskonzepte für die
Museen zu vermitteln. Zweitens, daß die Arbeit in den Museen im Kontext von
Erwartungen und Verpflichtungen so praxis- und objektbezogen ist, daß eine
Auseinandersetzung mit Wissenschaftstheorien kaum zu leisten ist. Dazu haben die
Heterogenität des Alltags, das Vorhandensein mehrerer Alltagskonzepte und
besonders der schwierige Umgang der Volkskunde mit dem Alltag zwischen
Tradition und Innovation beigetragen.
Hier soll nicht der Eindruck entstehen, an Universitäten werde nur theoretisch,
an Museen nur praktisch gearbeitet. Sachkulturforschung hat an Universitäten
bisher jedoch einen geringen Stellenwert gehabt, und die Museen haben das Thema
Sachkulturforschung lange nicht reflektiert. Die Veranstaltung von zwei Tagungen
zur Sachkulturforschung im Jahre 1998 läßt darauf schließen, daß dieser Mangel
behoben werden soll. Ausgehend von dieser Beobachtung ist es notwendig, daß
Universität und Museum kooperieren und einander zuarbeiten. Das hieße beispielsweise,
daß die Museen den Universitäten Sammlungsbestände zur Verfügung
stellen, die dort aufgearbeitet werden, und daß Museen versuchen, Forschungsergebnisse
museologisch umzusetzen. Einige Museen und Universitäten praktizieren
dies bereits. Ergebnisse dieser Zusammenarbeit zeigen sich im „Museum für
Volkskultur in Württemberg”. Voraussetzung für die Realisation ist eine enge Verflechtung
zwischen dem Museum und dem Institut für Empirische Kulturwissenschaft
an der Universität Tübingen sowie eine personalintensive Museumsbetreuung.
Orientierung an den Erwartungen von Besucherinnen und Besuchern
In der Frage nach den Erwartungen der Museumsbesucherinnen und -besucher
zeichnen sich neue Entwicklungen ab, die in der Untersuchung am Beispiel des
Schweizerischen Freilichtmuseums gestreift wurden. Das Interesse dieses Museums
an der Besucherforschung deckt sich mit Bestrebungen, wie sie sich in der neuesten
Publikation des Bonner „Hauses der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland” zu Museums-Fragen äußern.5 In der Ankündigung des Buches heißt es: „Wie
können die Verantwortlichen in Museen und anderen Kultureinrichtungen
publikums- und zukunftsorientiert arbeiten?” Die Koppelung der Besucher- mit der
Zukunftsperspektive erfolgte auch in den 70er Jahren, aber mit anderen Zielen.
Wie die Besucheruntersuchungen des Schweizerischen Freilichtmuseums
zeigen, läßt sich vom wissenschaftlichen Standpunkt die Qualität eines Museums
nicht allein an Besucherzahlen ablesen; Besucherzahlen dürfen daher auch nicht der
alleinige Maßstab für Museumsarbeit werden.
Museen im Spannungsfeld zwischen wissenschaftlichem Auftrag und Rentabilität
Das Spannungsverhältnis von wissenschaftlichem Forschungs- und Dokumentationsauftrag
der Museen und ihrer wirtschaftlichen Effizienz konnte in der Arbeit
nur am Rande gestreift werden. Am Beispiel der Freilichtmuseen läßt sich ansatzweise
ablesen, mit welchen zusätzlichen Schwierigkeiten und Zwängen die museologische
Umsetzung von wissenschaftlichen Anforderungen allgemein und des
Alltagskonzepts im speziellen bei einer (teilweise) privatwirtschaftlichen Nutzung
verbunden ist.
Václav Havel schreibt im Zitat, welches der Arbeit vorangestellt ist, daß die Kultur
das Instrument des „Sichselbstbewußtwerdens” einer Gesellschaft ist. Nach Havel
dient die Kultur (sofern sie sich in Freiheit entwickeln kann) der allgemeinen
Wahrheitsfindung und ist eine moralische Norm. Kultur wird damit zu einer idealistischen
Instanz, ein Gedanke, der auch in der Idee des „demokratischen Museums”
enthalten ist. Auf die kulturhistorischen Museen übertragen, bedeutet dies, daß hier
die Möglichkeit besteht, zu gesellschaftlicher Selbsterkenntnis und Selbstfindung
beizutragen. Die Präsentation von Alltagskultur kann dazu einen entscheidenden
Beitrag leisten. Voraussetzung für das Sichselbstbewußtwerden einer Gesellschaft
in den Museen ist, daß Kultur auch als ethische Instanz verstanden wird und die
kulturhistorischen Museen nicht zu Vollzugsorten von Besuchererwartungen,
Politiker- und Sponsorenwünschen werden.Heute eine Arbeit über „Alltagskultur im Museum” zu veröffentlichen mutet fast
anachronistisch an. In Zeiten, in denen die Bedeutung von Museumsarbeit vor allem
in Besuchszahlen gemessen wird, in denen Museumsmanagement, Öffentlichkeitsarbeit
und museumspädagogische Aktionen sich verselbständigen, scheint das
Einfordern von wissenschaftlicher Basisarbeit geradezu antiquiert. Und doch finde
ich den Zeitpunkt dafür gerade richtig. Für die Suche nach einer volkskundlichen
Fachidentität spielt die Frage nach der Rolle von Alltagskultur in den Museen, die
als Multiplikatoren der Fachinhalte gelten, eine wichtige Rolle.
In der vorliegenden Arbeit wurden die von der interdisziplinären „Alltagsdiskussion”
vor allem seit den 1970er Jahren postulierten wissenschaftlichen
Ansprüche den innerhalb der Museen gegebenen Möglichkeiten gegenübergestellt.
Die Untersuchung gibt damit einen Überblick über die Fach- und Museumsentwicklung
dieser Zeit und stellt die beiden Institutionen anhand dieses für die Volkskunde
zentralen Themas in Beziehung. Auf diese Weise wird die Problematik von volkskundlicher
Theorie und Praxis sowie von gegenseitigen Anstößen und Wirkungen
beleuchtet.
Die wissenschaftlichen Alltagsdiskussionen, die Museumsdiskussionen und die
aus der Bundesrepublik Deutschland und der Schweiz gewählten Fallbeispiele
ergeben ein so vielfältiges und vielschichtiges Beziehungsgeflecht, daß einzelne
Aspekte noch einmal besonders hervorgehoben werden sollen.
Der Alltagsbegriff
Trotz des Rückgriffs auf die historischen Wurzeln der Alltagsforschung läßt sich
am Ende der Arbeit der Alltagsbegriff nicht klar bestimmen. Die Begriffe Alltag,
Alltagskultur oder auch Mikro-Historie haben ausschließenden Charakter; sie
klingen, als blieben der Nicht-Alltag, die Festtagskultur oder die Makro-Historie
ausgeschlossen und als mache das den neuen Ansatz oder Paradigmenwechsel aus.
Dieser ist – wie sich gezeigt hat – jedoch eher durch den gesellschaftspolitischen
Hintergrund und den subjekt- und lebenskontextorientierten Blickwinkel gegeben.
Diese beiden Aspekte erweisen sich auch als der kleinste gemeinsame Nenner aller
Ansätze aus Soziologie, Geschichte und Volkskunde bzw. der Ethnographie mit
ihrem Begriff der Lebensweise. Im Gegensatz zur Geschichte und Soziologie ist
dieser Ansatz bereits Leitmotiv zahlreicher volkskundlicher Forschungen, bevor es
im Fach eine wissenschaftliche Diskussion um Alltagskultur gegeben hat. Sinnvoll aber vermutlich unrealisierbar wäre es, die Begriffe Alltag, Alltagsgeschichte
und Alltagskultur dem dazugehörigen fachlichen Kontext entsprechend
differenziert zu verwenden, um eine präzisere Verständigung über dieses Thema im
zukünftigen Diskurs zu ermöglichen. Die ungenauen Begriffsvorstellungen, die sich
innerhalb der Fallstudien deutlich gezeigt haben, resultieren vor allem aus dem
Nebeneinander und einer Vermischung des umgangssprachlichen und des wissenschaftlichen
Alltagsbegriffs.
Im Stadtmuseum Hornmoldhaus in Bietigheim-Bissingen und in der Karlsruher
Sonderausstellung sollte „der Alltag” ausgestellt werden, der Begriff „Alltagskultur”
wurde als zu umfassend abgelehnt. Dennoch ist die kulturelle Ebene in
beiden historisch-volkskundlichen Ausstellungen vorhanden. Die Ablehnung der
kulturellen Komponente ist umso erstaunlicher, da die Alltagsgeschichte gegenüber
der Strukturgeschichte gerade eine Erweiterung um kulturelle Akzente beinhaltet.
Der umgangssprachliche und der wissenschaftiche Alltagsbegriff müßten daher
noch durch den Alltagsbegriff als publikumswirksames Schlagwort ergänzt werden.
Alltagsbegriffe im Museum
Von dem gemeinsamen wissenschaftlichen Anliegen einer subjektorienten Alltagsforschung
ausgehend, ist leicht zu erkennen, daß diese Intention mit dem Anspruch
der lokalen Museen korrespondiert. Diese verfügen auch am ehesten über das
entsprechende Dokumentationsmaterial, um dem Anspruch gerecht zu werden.
Gleichzeitig halten sich die Vertreterinnen und Vertreter lokaler Museen bewußt
und unbewußt von der akademischen Diskussion am weitesten fern und legen daher
meist den temporalen Alltagsbegriff zugrunde.
Die überregionalen volkskundlichen Museen haben den wissenschaftlichen
Alltagsbegriff ihren Bedürfnissen entsprechend erweitert, im Museum für Volkskultur
und dem Schweizerischen Landesmuseum um die Strukturgeschichte, im
Freilichtmuseum Ballenberg in dem sehr allgemeinen Sinn, daß authenischer
Wiederaufbau bereits Alltagskultur sei. Diese Alltagsvorstellungen sind teilweise
in intensiver Auseinandersetzung mit der akademischen Diskussion entstanden.
Eine Erweiterung des subjektorientierten, mikrohistorischen Alltagsbegriffs um
makrohistorische Strukturen wurde zwar zeitgleich auch von Universitätsvertretern
gefordert, könnte aber auch ein Beispiel dafür sein, wie ein akademischer Begriff
durch seine praktische Anwendung korrigiert wird. Die Tragfähigkeit von museumsrelevanten
wissenschaftlichen Begriffen in der Praxis zu prüfen könnte ein
Bereich werden, in dem Universitäten von den Museen profitieren können. Alltagsforschung im Vergleich: Deutschland – Schweiz
Obwohl die Arbeit nicht auf einen Vergleich der Alltagskulturforschung in Deutschland
und der Schweiz angelegt ist, sollen die Ansätze in beiden Ländern am Ende
vergleichend resümiert werden.
Die Berücksichtigung von deutschen und schweizerischen Diskussionsbeiträgen
aus Forschung und Museen hat sich als lohnende Erweiterung der Arbeit erwiesen,
da sich durch die Gemeinsamkeiten und Unterschiede bestimmte Strukturen besser
erkennen ließen. In der Bundesrepublik Deutschland wurde vor dem Hintergrund
der gesellschaftspolitischen Situation emotional diskutiert (darin zeigt sich möglicherweise
auch ein spezifischer Diskussionsstil), sowohl auf theoretischer wie auf
museologischer Ebene. In Deutschland war dies bei den Historikern eine polarisierte
Diskussion von Alltagsgeschichte gegen Strukturgeschichte, in der Volkskunde
zunächst tendenziell eine Diskussion von Alltagskultur contra Kanon. In der
Schweiz hingegen hat es kaum eine kontroverse Diskussion von Alltagskonzepten
gegeben. In den Forschungen und Ausstellungen zeigt sich eine Orientierung an der
deutschen Alltagsforschung, aber auch an anderen Einflüssen, z. B. wurde aufgrund
der Mehrsprachigkeit in der Schweiz die internationale Museumsdiskussion wesentlich
stärker rezipiert. Insgesamt ist die Alltagsforschung in der Schweiz integraler
Bestandteil der entsprechenden Fächer und beinhaltet seit Beginn eine Einbindung
der Alltagsperspektive in größere Strukturen.
Ebenso wie in Deutschland bestehen in der Schweiz Probleme in der Umsetzung
des theoretischen Anspruchs in die museologische Praxis. Dies ist also ein
generelles Problem, welches sich auch an der Diskussion um das Museé des Arts
et Traditions Populaires und den Bemühungen des schwedischen SAMDOKProgramms
ablesen läßt.
Alltagskultur und Sachkulturforschung
Kernthema der Arbeit ist das Verhältnis von Alltagstheorien und daraus resultierender
Sammlungs- und Ausstellungspraxis. Dabei wurde stillschweigend der Zwischenschritt,
nämlich die volkskundliche Sachkulturforschung ausgespart. Aufgrund
der bereits genannten Probleme stellt sich die Frage, ob sich denn die Alltagskulturdiskussion
auf die Sachkulturforschung an den Universitäten und vor allem in den
Museen ausgewirkt hat.
An den Universitäten hat, auch im Anschluß an die Alltagsdiskussion, die
volkskundliche Sachkulturforschung einige Jahrzehnte nur eine marginale Rolle
gespielt. Hier findet gerade ein Wandel statt. Sachkulturforschung wird als Lehrveranstaltung mehrfach angeboten1, Tagungen veranstaltet2 und es entstehen
Dissertationen zum Thema, z.B. von Andrea Hauser, die versucht hat, über die
Auswertung von Nachlaßinventaren einen sozial- und mentalitätsgeschichtlichen
Zugang zu finden. Hier konnten subjektive Wahrnehmungs- und Bedeutungsstrukturen
zwar ansatzweise benannt werden, das Verfahren einer Thesenkombination
ist jedoch nicht frei von Spekulation, so daß sich hier die Grenzen des mentalitätsgeschichtlichen
Zugangs anhand von Sachobjekten andeuten.3
In den Museen hat die Alltagsforschung die Sammlungskonzepte verändert.
Darüber hinaus war im Württembergschen Landesmuseum auszumachen, daß die
Perspektive Alltagskultur auch der Sachkulturforschung neue Impulse geben kann.
Dies scheint jedoch eher ein Einzelfall zu sein. Ob das Paradigma Alltagskultur der
Sachkulturforschung auf breiter Basis neue Anregungen bietet, wird möglicherweise
die Tagung der Arbeitsgruppe kulturgeschichtliche Museen beantworten.
Alltagskultur im Museum: Wozu?
Alltagssoziologie und Alltagsgeschichte stellen in Deutschland innerhalb der Fächer
Soziologie und Geschichte relativ abgeschlossene Teildisziplinen dar. Da die
Volkskunde sich wesentlich stärker als „Wissenschaft der Alltagskultur” definiert,
ist sie gezwungen, sowohl zur eigenen Positionierung als auch (teilweise) zur
Abgrenzung ihren Standpunkt und ihre besonderen Erkenntnismöglichkeiten offenzulegen.
Dazu wäre es sinnvoll, den Alltagsbezug innerhalb der frühen Volkskunde
zu betrachten, der von der jüngeren Alltagsdiskussion nur ansatzweise reflektiert
worden ist. Wichtig wäre jedoch auch, daß die Volkskunde sich auf eine fachliche
Identität festlegt – die Alltagskultur sein könnte – und die die Museen nach außen tragen würden.
Die bisherigen wissenschaftlichen Alltagskonzepte gehen nicht nur nicht auf
eine museologische Umsetzung ein, sie beinhalten gerade Forderungen nach Analyse
von Kontexten, subjektiven Einstellungen und mentalen Bereichen, die sich dem
Museum als visuellem Medium zunächst widersetzen (allerdings ist das Museum ja
nicht nur visuelles Medium).
Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch die aktuelle Museumsdiskussion:
beispielsweise findet Hermann Heidrich Freilichtmuseen wenig geeignet, um darin
Alltagskultur auszustellen, und Gottfried Korff spricht von Aporien in der Musealisierung
von Alltag. Die Untersuchung hat weitere Schwierigkeiten bei der Alltagspräsentation
aufgezeigt, beispielsweise daß Museen, die Alltagskultur präsentieren
wollen, trotz alltagsorientierter Sammlungskonzepte seit den 70er/80er Jahren, zu
zahlreichen Themen nicht über entsprechende Objekte verfügen (Württembergisches
Landesmuseum, Schweizerisches Landesmuseum). Angesichts der begrifflichen
und inhaltlichen Schwierigkeiten ist zu fragen, welche Argumente für den
Versuch sprechen, Alltagskultur auszustellen. Drei Argumente sollen genannt
werden:
1. Sofern sich die Volkskunde als Wissenschaft der Alltagskultur versteht, sollte
die Alltagsperspektive auch in den volkskundlichen Museen, die das Fach nach
außen repräsentieren, enthalten sein.
2. In der Fach- und Museumsdiskussion der 70er Jahre wurde in der Bundesrepublik
der Begriff des demokratischen Museums geprägt. Die gesellschaftlichen
Rahmenbedingugen, die für diese Begriffsbildung verantwortlich waren, haben
sich zwar gewandelt, doch die damit verbundenen Forderungen an das Museum,
zu denen auch die Alltagsperspektiven: (Kultur-)Geschichte von unten, (Kultur-
)Geschichte der Vielen und subjektive, geschlechtsspezifische Geschichtserfahrung
(die sich auch an Objekten visualisieren lassen) gehören, sind nach wie vor
aktuell. Dabei bieten Museen andere populäre Informations- und Vermittlungsmöglichkeiten
als beispielsweise Bücher.
3. Die besonderen Möglichkeiten der Alltagsforschung auf lokaler Ebene sollten in
den entsprechenden Museen genutzt, bzw. umgekehrt die Museen in diesen
Bemühungen konstruktiv unterstützt, d.h. beispielsweise in die wissenschaftliche
Diskussion eingebunden werden.
Kulturhistorische Museen und Universität – eine hermeneutische Spirale
Das wichtigste Ergebnis der Arbeit ist, daß Museen und Universitäten eigene
Mikrokosmen sind, deren Ziel nicht unbedingt Austausch, sondern eher Abgrenzung heißt. Dies äußert sich beispielsweise darin, daß sich die Museumsdiskussion
zur Alltagskultur nicht auf die gleichzeitige akademische Diskussion bezog, sondern
an die eigene Institutionengeschichte anknüpfte.
In den Museumsbeispielen zeigten sich mehrfach den Erwartungen widersprechende
Ergebnisse. Während Gottfried Korff den ohne vorherigen Sammlungsbestand
gegründeten Heimatmuseen auch eine inhaltliche Verflachung vorwirft,
zeigt sich im Stadtmuseum Hornmoldhaus, daß durch regelmäßige, an das Alltagsleben
der Bürger anknüpfende Wechselausstellungen (an der die Bevölkerung durch
oral-history beteiligt ist), ein kritisches und aktives Museum entstehen kann, welches
zahlreiche Ansprüche der wissenschaftlichen Debatte erfüllt.
Das Museum für Volkskultur in Waldenbuch entspricht zwar in seinen Vermittlungszielen,
seinem gegenwarts- und alltagsorientierten Sammlungskonzept und
seiner ganzheitliche Lebenszusammenhänge erklärenden Präsentation den wissenschaftlichen
Ansprüchen, dennoch dominiert die Strukturgeschichte gegenüber der
Alltagskultur, dominieren die Objekte gegenüber den Informationen über den
Menschen. Hinzu kommt eine bildungsbürgerliche Besucherstruktur, die kein
demographisches Abbild der Gesellschaft bildet (wobei ein demokratisches Museum
als „Museum für alle” vermutlich eine Utopie bleiben muß).
Eine fast alle Sozialschichten umfassende Besucherstruktur kann das Freilichtmuseum
für ländliche Kultur vorweisen. Um diese zu erhalten, wird auf eine
Umsetzung des kritischen Potentials der Alltagsdiskussionen verzichtet.
Im Verlauf der Arbeit deutet sich immer wieder eine Polarisierung der beiden
Institutionen Universität und Museum an, die von Museumsseite oft als hierarchisches
Verhältnis empfunden wird. Die (wenn auch teilweise gerechtfertigte) massive
Kritik der Universitätsvertreterinnen und -vertreter an den Ergebnissen der
Musealisierung von Alltagskultur hat dazu geführt, daß sich die Museumsvertreterinnen
und -vertreter zunehmend aus dem wissenschaftlichen Austausch mit den
Universitäten zurückziehen. Eine direkte Auseinandersetzung, wie die Kontroverse
Ottenjann – Meiners – Lipp4, bildet eine Ausnahme. So ist es kaum verwunderlich,
daß sich aus den Interviews, der Korrespondenz und aus Gesprächen mit weiteren
Museumsleitenden kein ausgesprochener Wunsch nach einem stärkeren Dialog mit
den Universitäten über eine intensivere Verständigung zur Alltagskulturdiskussion
ablesen ließ. Dies bestätigt noch einmal, daß auch die Museumsvertreterinnen und
-vertreter ihre Institutionen nicht als Repräsentanten fachwissenschaftlicher Forschung nach außen, sondern primär als eigenständige Institutionen ansehen.
Dennoch gibt es Beispiele einer engen und fruchtbaren Zusammenarbeit zwischen
Universität und Museum. Es scheint, als ob das hierarchische Verhältnis dort
weniger empfunden wird, wo der Kontakt zwischen Museum und Universität eng
ist. Offensichtlich treten dabei die Fähigkeiten, aber auch die Grenzen des jeweiligen
Partners deutlicher zutage.
Die von Museumsseite gelegentlich angesprochene Hegemonie wird in der
Bundesrepublik Deutschland durch die Vertretungsverhältnisse innerhalb des DGVVorstands
unterstützt. Das Amt des Präsidenten liegt traditionellerweise in der
Hand eines Professors; gegenwärtig ist eine Stellvertreterstelle von einer Museumsrepräsentantin
besetzt. Im Hauptausschuß von 1996 steht lediglich einer von
insgesamt zehn Sitzen für Vertreter aus dem Museumsbereich zur Verfügung. Im
Vorstand der Schweizerischen Gesellschaft für Volkskunde sind die Zahlenverhältnisse
ähnlich, wobei dieser als Vertretung einer nicht ausschließlich wissenschaftlichen
Gesellschaft anders strukturiert ist.
Dennoch würde ich die Unzufriedenheit mit den museologischen Umsetzungen
der Alltagsdiskussion, wie sie in den Beiträgen von Gottfried Korff, Konrad Köstlin,
Martin Scharfe und Carola Lipp zum Ausdruck kommt, nicht als Plädoyers für
eine Rückkehr zu einem Zustand vor der „Entdeckung des Alltags” werten, sondern
als Reaktionen auf eine Museumsentwicklung, die durch massenhafte Museumsgründungen
aus der Bahn geraten ist. Der in der Einleitung konstatierte Wertewandel
von Alltagskultur im Museum erweist sich bei genauerer Betrachtung als
fortschreitende Entwicklung, die sich innerhalb der Positionen für und wider
Alltagskultur und vor dem Hintergrund der musealen Gegebenheiten vollzieht. Die
zunehmenden Lehrveranstaltungen zur Sachkulturforschung können ebenfalls als
Reaktion auf die Museumssituation betrachtet werden. Die Wechselwirkung
zwischen Universität und kulturhistorischen Museen im Hinblick auf den Umgang
des Menschen mit den Dingen im Alltag ist – wie ich hoffe – dabei, sich als eine
hermeneutische Spirale weiterzuentwickeln.
Rezeptionswege und Rezeptionsbrüche
Die Arbeit hat gezeigt, daß zwischen den Institutionen Universität und Museum nur
selten eine direkte Rezeption von wissenschaftlicher Theorie und musealer Umsetzung
erfolgt. Einige Berührungspunkte ergaben sich auf Tagungen, durch einzelne
Persönlichkeiten (Gottfried Korff und Silke Göttsch gehören zu den wenigen
Universitätswissenschaftlern, die sich an der Alltagsdiskussion beteiligt haben und
die gleichzeitig über Museumserfahrung verfügen) oder einzelne, an der wissenschaftlichen Entwicklung interessierte Museen.
In der Auseinandersetzung um das Thema Alltag als theoretisches Konzept
bleiben Universität und Museum relativ getrennt. Dies hat verschiedene Ursachen:
Zum Teil ist es in den unterschiedlichen Zuständigkeiten begründet. Auf meine
Fragen nach Alltagstheorien erhielt ich in den Museen sinngemäß mehrfach die
Antwort: Wir müssen mit den Objekten arbeiten, was helfen dabei Alltagstheorien.
Aus dieser Antwort läßt sich zweierlei ablesen: Erstens, daß die Universitäten es
nicht ausreichend geschafft haben, die Bedeutung der Alltagskonzepte für die
Museen zu vermitteln. Zweitens, daß die Arbeit in den Museen im Kontext von
Erwartungen und Verpflichtungen so praxis- und objektbezogen ist, daß eine
Auseinandersetzung mit Wissenschaftstheorien kaum zu leisten ist. Dazu haben die
Heterogenität des Alltags, das Vorhandensein mehrerer Alltagskonzepte und
besonders der schwierige Umgang der Volkskunde mit dem Alltag zwischen
Tradition und Innovation beigetragen.
Hier soll nicht der Eindruck entstehen, an Universitäten werde nur theoretisch,
an Museen nur praktisch gearbeitet. Sachkulturforschung hat an Universitäten
bisher jedoch einen geringen Stellenwert gehabt, und die Museen haben das Thema
Sachkulturforschung lange nicht reflektiert. Die Veranstaltung von zwei Tagungen
zur Sachkulturforschung im Jahre 1998 läßt darauf schließen, daß dieser Mangel
behoben werden soll. Ausgehend von dieser Beobachtung ist es notwendig, daß
Universität und Museum kooperieren und einander zuarbeiten. Das hieße beispielsweise,
daß die Museen den Universitäten Sammlungsbestände zur Verfügung
stellen, die dort aufgearbeitet werden, und daß Museen versuchen, Forschungsergebnisse
museologisch umzusetzen. Einige Museen und Universitäten praktizieren
dies bereits. Ergebnisse dieser Zusammenarbeit zeigen sich im „Museum für
Volkskultur in Württemberg”. Voraussetzung für die Realisation ist eine enge Verflechtung
zwischen dem Museum und dem Institut für Empirische Kulturwissenschaft
an der Universität Tübingen sowie eine personalintensive Museumsbetreuung.
Orientierung an den Erwartungen von Besucherinnen und Besuchern
In der Frage nach den Erwartungen der Museumsbesucherinnen und -besucher
zeichnen sich neue Entwicklungen ab, die in der Untersuchung am Beispiel des
Schweizerischen Freilichtmuseums gestreift wurden. Das Interesse dieses Museums
an der Besucherforschung deckt sich mit Bestrebungen, wie sie sich in der neuesten
Publikation des Bonner „Hauses der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland” zu Museums-Fragen äußern.5 In der Ankündigung des Buches heißt es: „Wie
können die Verantwortlichen in Museen und anderen Kultureinrichtungen
publikums- und zukunftsorientiert arbeiten?” Die Koppelung der Besucher- mit der
Zukunftsperspektive erfolgte auch in den 70er Jahren, aber mit anderen Zielen.
Wie die Besucheruntersuchungen des Schweizerischen Freilichtmuseums
zeigen, läßt sich vom wissenschaftlichen Standpunkt die Qualität eines Museums
nicht allein an Besucherzahlen ablesen; Besucherzahlen dürfen daher auch nicht der
alleinige Maßstab für Museumsarbeit werden.
Museen im Spannungsfeld zwischen wissenschaftlichem Auftrag und Rentabilität
Das Spannungsverhältnis von wissenschaftlichem Forschungs- und Dokumentationsauftrag
der Museen und ihrer wirtschaftlichen Effizienz konnte in der Arbeit
nur am Rande gestreift werden. Am Beispiel der Freilichtmuseen läßt sich ansatzweise
ablesen, mit welchen zusätzlichen Schwierigkeiten und Zwängen die museologische
Umsetzung von wissenschaftlichen Anforderungen allgemein und des
Alltagskonzepts im speziellen bei einer (teilweise) privatwirtschaftlichen Nutzung
verbunden ist.
Václav Havel schreibt im Zitat, welches der Arbeit vorangestellt ist, daß die Kultur
das Instrument des „Sichselbstbewußtwerdens” einer Gesellschaft ist. Nach Havel
dient die Kultur (sofern sie sich in Freiheit entwickeln kann) der allgemeinen
Wahrheitsfindung und ist eine moralische Norm. Kultur wird damit zu einer idealistischen
Instanz, ein Gedanke, der auch in der Idee des „demokratischen Museums”
enthalten ist. Auf die kulturhistorischen Museen übertragen, bedeutet dies, daß hier
die Möglichkeit besteht, zu gesellschaftlicher Selbsterkenntnis und Selbstfindung
beizutragen. Die Präsentation von Alltagskultur kann dazu einen entscheidenden
Beitrag leisten. Voraussetzung für das Sichselbstbewußtwerden einer Gesellschaft
in den Museen ist, daß Kultur auch als ethische Instanz verstanden wird und die
kulturhistorischen Museen nicht zu Vollzugsorten von Besuchererwartungen,
Politiker- und Sponsorenwünschen werden.
Heute eine Arbeit über „Alltagskultur im Museum” zu veröffentlichen mutet fast
anachronistisch an. In Zeiten, in denen die Bedeutung von Museumsarbeit vor allem
in Besuchszahlen gemessen wird, in denen Museumsmanagement, Öffentlichkeitsarbeit
und museumspädagogische Aktionen sich verselbständigen, scheint das
Einfordern von wissenschaftlicher Basisarbeit geradezu antiquiert. Und doch finde
ich den Zeitpunkt dafür gerade richtig. Für die Suche nach einer volkskundlichen
Fachidentität spielt die Frage nach der Rolle von Alltagskultur in den Museen, die
als Multiplikatoren der Fachinhalte gelten, eine wichtige Rolle.
In der vorliegenden Arbeit wurden die von der interdisziplinären „Alltagsdiskussion”
vor allem seit den 1970er Jahren postulierten wissenschaftlichen
Ansprüche den innerhalb der Museen gegebenen Möglichkeiten gegenübergestellt.
Die Untersuchung gibt damit einen Überblick über die Fach- und Museumsentwicklung
dieser Zeit und stellt die beiden Institutionen anhand dieses für die Volkskunde
zentralen Themas in Beziehung. Auf diese Weise wird die Problematik von volkskundlicher
Theorie und Praxis sowie von gegenseitigen Anstößen und Wirkungen
beleuchtet.
Die wissenschaftlichen Alltagsdiskussionen, die Museumsdiskussionen und die
aus der Bundesrepublik Deutschland und der Schweiz gewählten Fallbeispiele
ergeben ein so vielfältiges und vielschichtiges Beziehungsgeflecht, daß einzelne
Aspekte noch einmal besonders hervorgehoben werden sollen.
Der Alltagsbegriff
Trotz des Rückgriffs auf die historischen Wurzeln der Alltagsforschung läßt sich
am Ende der Arbeit der Alltagsbegriff nicht klar bestimmen. Die Begriffe Alltag,
Alltagskultur oder auch Mikro-Historie haben ausschließenden Charakter; sie
klingen, als blieben der Nicht-Alltag, die Festtagskultur oder die Makro-Historie
ausgeschlossen und als mache das den neuen Ansatz oder Paradigmenwechsel aus.
Dieser ist – wie sich gezeigt hat – jedoch eher durch den gesellschaftspolitischen
Hintergrund und den subjekt- und lebenskontextorientierten Blickwinkel gegeben.
Diese beiden Aspekte erweisen sich auch als der kleinste gemeinsame Nenner aller
Ansätze aus Soziologie, Geschichte und Volkskunde bzw. der Ethnographie mit
ihrem Begriff der Lebensweise. Im Gegensatz zur Geschichte und Soziologie ist
dieser Ansatz bereits Leitmotiv zahlreicher volkskundlicher Forschungen, bevor es
im Fach eine wissenschaftliche Diskussion um Alltagskultur gegeben hat. Sinnvoll aber vermutlich unrealisierbar wäre es, die Begriffe Alltag, Alltagsgeschichte
und Alltagskultur dem dazugehörigen fachlichen Kontext entsprechend
differenziert zu verwenden, um eine präzisere Verständigung über dieses Thema im
zukünftigen Diskurs zu ermöglichen. Die ungenauen Begriffsvorstellungen, die sich
innerhalb der Fallstudien deutlich gezeigt haben, resultieren vor allem aus dem
Nebeneinander und einer Vermischung des umgangssprachlichen und des wissenschaftlichen
Alltagsbegriffs.
Im Stadtmuseum Hornmoldhaus in Bietigheim-Bissingen und in der Karlsruher
Sonderausstellung sollte „der Alltag” ausgestellt werden, der Begriff „Alltagskultur”
wurde als zu umfassend abgelehnt. Dennoch ist die kulturelle Ebene in
beiden historisch-volkskundlichen Ausstellungen vorhanden. Die Ablehnung der
kulturellen Komponente ist umso erstaunlicher, da die Alltagsgeschichte gegenüber
der Strukturgeschichte gerade eine Erweiterung um kulturelle Akzente beinhaltet.
Der umgangssprachliche und der wissenschaftiche Alltagsbegriff müßten daher
noch durch den Alltagsbegriff als publikumswirksames Schlagwort ergänzt werden.
Alltagsbegriffe im Museum
Von dem gemeinsamen wissenschaftlichen Anliegen einer subjektorienten Alltagsforschung
ausgehend, ist leicht zu erkennen, daß diese Intention mit dem Anspruch
der lokalen Museen korrespondiert. Diese verfügen auch am ehesten über das
entsprechende Dokumentationsmaterial, um dem Anspruch gerecht zu werden.
Gleichzeitig halten sich die Vertreterinnen und Vertreter lokaler Museen bewußt
und unbewußt von der akademischen Diskussion am weitesten fern und legen daher
meist den temporalen Alltagsbegriff zugrunde.
Die überregionalen volkskundlichen Museen haben den wissenschaftlichen
Alltagsbegriff ihren Bedürfnissen entsprechend erweitert, im Museum für Volkskultur
und dem Schweizerischen Landesmuseum um die Strukturgeschichte, im
Freilichtmuseum Ballenberg in dem sehr allgemeinen Sinn, daß authenischer
Wiederaufbau bereits Alltagskultur sei. Diese Alltagsvorstellungen sind teilweise
in intensiver Auseinandersetzung mit der akademischen Diskussion entstanden.
Eine Erweiterung des subjektorientierten, mikrohistorischen Alltagsbegriffs um
makrohistorische Strukturen wurde zwar zeitgleich auch von Universitätsvertretern
gefordert, könnte aber auch ein Beispiel dafür sein, wie ein akademischer Begriff
durch seine praktische Anwendung korrigiert wird. Die Tragfähigkeit von museumsrelevanten
wissenschaftlichen Begriffen in der Praxis zu prüfen könnte ein
Bereich werden, in dem Universitäten von den Museen profitieren können. Alltagsforschung im Vergleich: Deutschland – Schweiz
Obwohl die Arbeit nicht auf einen Vergleich der Alltagskulturforschung in Deutschland
und der Schweiz angelegt ist, sollen die Ansätze in beiden Ländern am Ende
vergleichend resümiert werden.
Die Berücksichtigung von deutschen und schweizerischen Diskussionsbeiträgen
aus Forschung und Museen hat sich als lohnende Erweiterung der Arbeit erwiesen,
da sich durch die Gemeinsamkeiten und Unterschiede bestimmte Strukturen besser
erkennen ließen. In der Bundesrepublik Deutschland wurde vor dem Hintergrund
der gesellschaftspolitischen Situation emotional diskutiert (darin zeigt sich möglicherweise
auch ein spezifischer Diskussionsstil), sowohl auf theoretischer wie auf
museologischer Ebene. In Deutschland war dies bei den Historikern eine polarisierte
Diskussion von Alltagsgeschichte gegen Strukturgeschichte, in der Volkskunde
zunächst tendenziell eine Diskussion von Alltagskultur contra Kanon. In der
Schweiz hingegen hat es kaum eine kontroverse Diskussion von Alltagskonzepten
gegeben. In den Forschungen und Ausstellungen zeigt sich eine Orientierung an der
deutschen Alltagsforschung, aber auch an anderen Einflüssen, z. B. wurde aufgrund
der Mehrsprachigkeit in der Schweiz die internationale Museumsdiskussion wesentlich
stärker rezipiert. Insgesamt ist die Alltagsforschung in der Schweiz integraler
Bestandteil der entsprechenden Fächer und beinhaltet seit Beginn eine Einbindung
der Alltagsperspektive in größere Strukturen.
Ebenso wie in Deutschland bestehen in der Schweiz Probleme in der Umsetzung
des theoretischen Anspruchs in die museologische Praxis. Dies ist also ein
generelles Problem, welches sich auch an der Diskussion um das Museé des Arts
et Traditions Populaires und den Bemühungen des schwedischen SAMDOKProgramms
ablesen läßt.
Alltagskultur und Sachkulturforschung
Kernthema der Arbeit ist das Verhältnis von Alltagstheorien und daraus resultierender
Sammlungs- und Ausstellungspraxis. Dabei wurde stillschweigend der Zwischenschritt,
nämlich die volkskundliche Sachkulturforschung ausgespart. Aufgrund
der bereits genannten Probleme stellt sich die Frage, ob sich denn die Alltagskulturdiskussion
auf die Sachkulturforschung an den Universitäten und vor allem in den
Museen ausgewirkt hat.
An den Universitäten hat, auch im Anschluß an die Alltagsdiskussion, die
volkskundliche Sachkulturforschung einige Jahrzehnte nur eine marginale Rolle
gespielt. Hier findet gerade ein Wandel statt. Sachkulturforschung wird als Lehrveranstaltung mehrfach angeboten1, Tagungen veranstaltet2 und es entstehen
Dissertationen zum Thema, z.B. von Andrea Hauser, die versucht hat, über die
Auswertung von Nachlaßinventaren einen sozial- und mentalitätsgeschichtlichen
Zugang zu finden. Hier konnten subjektive Wahrnehmungs- und Bedeutungsstrukturen
zwar ansatzweise benannt werden, das Verfahren einer Thesenkombination
ist jedoch nicht frei von Spekulation, so daß sich hier die Grenzen des mentalitätsgeschichtlichen
Zugangs anhand von Sachobjekten andeuten.3
In den Museen hat die Alltagsforschung die Sammlungskonzepte verändert.
Darüber hinaus war im Württembergschen Landesmuseum auszumachen, daß die
Perspektive Alltagskultur auch der Sachkulturforschung neue Impulse geben kann.
Dies scheint jedoch eher ein Einzelfall zu sein. Ob das Paradigma Alltagskultur der
Sachkulturforschung auf breiter Basis neue Anregungen bietet, wird möglicherweise
die Tagung der Arbeitsgruppe kulturgeschichtliche Museen beantworten.
Alltagskultur im Museum: Wozu?
Alltagssoziologie und Alltagsgeschichte stellen in Deutschland innerhalb der Fächer
Soziologie und Geschichte relativ abgeschlossene Teildisziplinen dar. Da die
Volkskunde sich wesentlich stärker als „Wissenschaft der Alltagskultur” definiert,
ist sie gezwungen, sowohl zur eigenen Positionierung als auch (teilweise) zur
Abgrenzung ihren Standpunkt und ihre besonderen Erkenntnismöglichkeiten offenzulegen.
Dazu wäre es sinnvoll, den Alltagsbezug innerhalb der frühen Volkskunde
zu betrachten, der von der jüngeren Alltagsdiskussion nur ansatzweise reflektiert
worden ist. Wichtig wäre jedoch auch, daß die Volkskunde sich auf eine fachliche
Identität festlegt – die Alltagskultur sein könnte – und die die Museen nach außen tragen würden.
Die bisherigen wissenschaftlichen Alltagskonzepte gehen nicht nur nicht auf
eine museologische Umsetzung ein, sie beinhalten gerade Forderungen nach Analyse
von Kontexten, subjektiven Einstellungen und mentalen Bereichen, die sich dem
Museum als visuellem Medium zunächst widersetzen (allerdings ist das Museum ja
nicht nur visuelles Medium).
Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch die aktuelle Museumsdiskussion:
beispielsweise findet Hermann Heidrich Freilichtmuseen wenig geeignet, um darin
Alltagskultur auszustellen, und Gottfried Korff spricht von Aporien in der Musealisierung
von Alltag. Die Untersuchung hat weitere Schwierigkeiten bei der Alltagspräsentation
aufgezeigt, beispielsweise daß Museen, die Alltagskultur präsentieren
wollen, trotz alltagsorientierter Sammlungskonzepte seit den 70er/80er Jahren, zu
zahlreichen Themen nicht über entsprechende Objekte verfügen (Württembergisches
Landesmuseum, Schweizerisches Landesmuseum). Angesichts der begrifflichen
und inhaltlichen Schwierigkeiten ist zu fragen, welche Argumente für den
Versuch sprechen, Alltagskultur auszustellen. Drei Argumente sollen genannt
werden:
1. Sofern sich die Volkskunde als Wissenschaft der Alltagskultur versteht, sollte
die Alltagsperspektive auch in den volkskundlichen Museen, die das Fach nach
außen repräsentieren, enthalten sein.
2. In der Fach- und Museumsdiskussion der 70er Jahre wurde in der Bundesrepublik
der Begriff des demokratischen Museums geprägt. Die gesellschaftlichen
Rahmenbedingugen, die für diese Begriffsbildung verantwortlich waren, haben
sich zwar gewandelt, doch die damit verbundenen Forderungen an das Museum,
zu denen auch die Alltagsperspektiven: (Kultur-)Geschichte von unten, (Kultur-
)Geschichte der Vielen und subjektive, geschlechtsspezifische Geschichtserfahrung
(die sich auch an Objekten visualisieren lassen) gehören, sind nach wie vor
aktuell. Dabei bieten Museen andere populäre Informations- und Vermittlungsmöglichkeiten
als beispielsweise Bücher.
3. Die besonderen Möglichkeiten der Alltagsforschung auf lokaler Ebene sollten in
den entsprechenden Museen genutzt, bzw. umgekehrt die Museen in diesen
Bemühungen konstruktiv unterstützt, d.h. beispielsweise in die wissenschaftliche
Diskussion eingebunden werden.
Kulturhistorische Museen und Universität – eine hermeneutische Spirale
Das wichtigste Ergebnis der Arbeit ist, daß Museen und Universitäten eigene
Mikrokosmen sind, deren Ziel nicht unbedingt Austausch, sondern eher Abgrenzung heißt. Dies äußert sich beispielsweise darin, daß sich die Museumsdiskussion
zur Alltagskultur nicht auf die gleichzeitige akademische Diskussion bezog, sondern
an die eigene Institutionengeschichte anknüpfte.
In den Museumsbeispielen zeigten sich mehrfach den Erwartungen widersprechende
Ergebnisse. Während Gottfried Korff den ohne vorherigen Sammlungsbestand
gegründeten Heimatmuseen auch eine inhaltliche Verflachung vorwirft,
zeigt sich im Stadtmuseum Hornmoldhaus, daß durch regelmäßige, an das Alltagsleben
der Bürger anknüpfende Wechselausstellungen (an der die Bevölkerung durch
oral-history beteiligt ist), ein kritisches und aktives Museum entstehen kann, welches
zahlreiche Ansprüche der wissenschaftlichen Debatte erfüllt.
Das Museum für Volkskultur in Waldenbuch entspricht zwar in seinen Vermittlungszielen,
seinem gegenwarts- und alltagsorientierten Sammlungskonzept und
seiner ganzheitliche Lebenszusammenhänge erklärenden Präsentation den wissenschaftlichen
Ansprüchen, dennoch dominiert die Strukturgeschichte gegenüber der
Alltagskultur, dominieren die Objekte gegenüber den Informationen über den
Menschen. Hinzu kommt eine bildungsbürgerliche Besucherstruktur, die kein
demographisches Abbild der Gesellschaft bildet (wobei ein demokratisches Museum
als „Museum für alle” vermutlich eine Utopie bleiben muß).
Eine fast alle Sozialschichten umfassende Besucherstruktur kann das Freilichtmuseum
für ländliche Kultur vorweisen. Um diese zu erhalten, wird auf eine
Umsetzung des kritischen Potentials der Alltagsdiskussionen verzichtet.
Im Verlauf der Arbeit deutet sich immer wieder eine Polarisierung der beiden
Institutionen Universität und Museum an, die von Museumsseite oft als hierarchisches
Verhältnis empfunden wird. Die (wenn auch teilweise gerechtfertigte) massive
Kritik der Universitätsvertreterinnen und -vertreter an den Ergebnissen der
Musealisierung von Alltagskultur hat dazu geführt, daß sich die Museumsvertreterinnen
und -vertreter zunehmend aus dem wissenschaftlichen Austausch mit den
Universitäten zurückziehen. Eine direkte Auseinandersetzung, wie die Kontroverse
Ottenjann – Meiners – Lipp4, bildet eine Ausnahme. So ist es kaum verwunderlich,
daß sich aus den Interviews, der Korrespondenz und aus Gesprächen mit weiteren
Museumsleitenden kein ausgesprochener Wunsch nach einem stärkeren Dialog mit
den Universitäten über eine intensivere Verständigung zur Alltagskulturdiskussion
ablesen ließ. Dies bestätigt noch einmal, daß auch die Museumsvertreterinnen und
-vertreter ihre Institutionen nicht als Repräsentanten fachwissenschaftlicher Forschung nach außen, sondern primär als eigenständige Institutionen ansehen.
Dennoch gibt es Beispiele einer engen und fruchtbaren Zusammenarbeit zwischen
Universität und Museum. Es scheint, als ob das hierarchische Verhältnis dort
weniger empfunden wird, wo der Kontakt zwischen Museum und Universität eng
ist. Offensichtlich treten dabei die Fähigkeiten, aber auch die Grenzen des jeweiligen
Partners deutlicher zutage.
Die von Museumsseite gelegentlich angesprochene Hegemonie wird in der
Bundesrepublik Deutschland durch die Vertretungsverhältnisse innerhalb des DGVVorstands
unterstützt. Das Amt des Präsidenten liegt traditionellerweise in der
Hand eines Professors; gegenwärtig ist eine Stellvertreterstelle von einer Museumsrepräsentantin
besetzt. Im Hauptausschuß von 1996 steht lediglich einer von
insgesamt zehn Sitzen für Vertreter aus dem Museumsbereich zur Verfügung. Im
Vorstand der Schweizerischen Gesellschaft für Volkskunde sind die Zahlenverhältnisse
ähnlich, wobei dieser als Vertretung einer nicht ausschließlich wissenschaftlichen
Gesellschaft anders strukturiert ist.
Dennoch würde ich die Unzufriedenheit mit den museologischen Umsetzungen
der Alltagsdiskussion, wie sie in den Beiträgen von Gottfried Korff, Konrad Köstlin,
Martin Scharfe und Carola Lipp zum Ausdruck kommt, nicht als Plädoyers für
eine Rückkehr zu einem Zustand vor der „Entdeckung des Alltags” werten, sondern
als Reaktionen auf eine Museumsentwicklung, die durch massenhafte Museumsgründungen
aus der Bahn geraten ist. Der in der Einleitung konstatierte Wertewandel
von Alltagskultur im Museum erweist sich bei genauerer Betrachtung als
fortschreitende Entwicklung, die sich innerhalb der Positionen für und wider
Alltagskultur und vor dem Hintergrund der musealen Gegebenheiten vollzieht. Die
zunehmenden Lehrveranstaltungen zur Sachkulturforschung können ebenfalls als
Reaktion auf die Museumssituation betrachtet werden. Die Wechselwirkung
zwischen Universität und kulturhistorischen Museen im Hinblick auf den Umgang
des Menschen mit den Dingen im Alltag ist – wie ich hoffe – dabei, sich als eine
hermeneutische Spirale weiterzuentwickeln.
Rezeptionswege und Rezeptionsbrüche
Die Arbeit hat gezeigt, daß zwischen den Institutionen Universität und Museum nur
selten eine direkte Rezeption von wissenschaftlicher Theorie und musealer Umsetzung
erfolgt. Einige Berührungspunkte ergaben sich auf Tagungen, durch einzelne
Persönlichkeiten (Gottfried Korff und Silke Göttsch gehören zu den wenigen
Universitätswissenschaftlern, die sich an der Alltagsdiskussion beteiligt haben und
die gleichzeitig über Museumserfahrung verfügen) oder einzelne, an der wissenschaftlichen Entwicklung interessierte Museen.
In der Auseinandersetzung um das Thema Alltag als theoretisches Konzept
bleiben Universität und Museum relativ getrennt. Dies hat verschiedene Ursachen:
Zum Teil ist es in den unterschiedlichen Zuständigkeiten begründet. Auf meine
Fragen nach Alltagstheorien erhielt ich in den Museen sinngemäß mehrfach die
Antwort: Wir müssen mit den Objekten arbeiten, was helfen dabei Alltagstheorien.
Aus dieser Antwort läßt sich zweierlei ablesen: Erstens, daß die Universitäten es
nicht ausreichend geschafft haben, die Bedeutung der Alltagskonzepte für die
Museen zu vermitteln. Zweitens, daß die Arbeit in den Museen im Kontext von
Erwartungen und Verpflichtungen so praxis- und objektbezogen ist, daß eine
Auseinandersetzung mit Wissenschaftstheorien kaum zu leisten ist. Dazu haben die
Heterogenität des Alltags, das Vorhandensein mehrerer Alltagskonzepte und
besonders der schwierige Umgang der Volkskunde mit dem Alltag zwischen
Tradition und Innovation beigetragen.
Hier soll nicht der Eindruck entstehen, an Universitäten werde nur theoretisch,
an Museen nur praktisch gearbeitet. Sachkulturforschung hat an Universitäten
bisher jedoch einen geringen Stellenwert gehabt, und die Museen haben das Thema
Sachkulturforschung lange nicht reflektiert. Die Veranstaltung von zwei Tagungen
zur Sachkulturforschung im Jahre 1998 läßt darauf schließen, daß dieser Mangel
behoben werden soll. Ausgehend von dieser Beobachtung ist es notwendig, daß
Universität und Museum kooperieren und einander zuarbeiten. Das hieße beispielsweise,
daß die Museen den Universitäten Sammlungsbestände zur Verfügung
stellen, die dort aufgearbeitet werden, und daß Museen versuchen, Forschungsergebnisse
museologisch umzusetzen. Einige Museen und Universitäten praktizieren
dies bereits. Ergebnisse dieser Zusammenarbeit zeigen sich im „Museum für
Volkskultur in Württemberg”. Voraussetzung für die Realisation ist eine enge Verflechtung
zwischen dem Museum und dem Institut für Empirische Kulturwissenschaft
an der Universität Tübingen sowie eine personalintensive Museumsbetreuung.
Orientierung an den Erwartungen von Besucherinnen und Besuchern
In der Frage nach den Erwartungen der Museumsbesucherinnen und -besucher
zeichnen sich neue Entwicklungen ab, die in der Untersuchung am Beispiel des
Schweizerischen Freilichtmuseums gestreift wurden. Das Interesse dieses Museums
an der Besucherforschung deckt sich mit Bestrebungen, wie sie sich in der neuesten
Publikation des Bonner „Hauses der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland” zu Museums-Fragen äußern.5 In der Ankündigung des Buches heißt es: „Wie
können die Verantwortlichen in Museen und anderen Kultureinrichtungen
publikums- und zukunftsorientiert arbeiten?” Die Koppelung der Besucher- mit der
Zukunftsperspektive erfolgte auch in den 70er Jahren, aber mit anderen Zielen.
Wie die Besucheruntersuchungen des Schweizerischen Freilichtmuseums
zeigen, läßt sich vom wissenschaftlichen Standpunkt die Qualität eines Museums
nicht allein an Besucherzahlen ablesen; Besucherzahlen dürfen daher auch nicht der
alleinige Maßstab für Museumsarbeit werden.
Museen im Spannungsfeld zwischen wissenschaftlichem Auftrag und Rentabilität
Das Spannungsverhältnis von wissenschaftlichem Forschungs- und Dokumentationsauftrag
der Museen und ihrer wirtschaftlichen Effizienz konnte in der Arbeit
65535
65535
65535
65535
65535
65535
65535
65535
65535
65535
65535
65535
65535
65535Heute eine Arbeit über „Alltagskultur im Museum” zu veröffentlichen mutet fast
anachronistisch an. In Zeiten, in denen die Bedeutung von Museumsarbeit vor allem
in Besuchszahlen gemessen wird, in denen Museumsmanagement, Öffentlichkeitsarbeit
und museumspädagogische Aktionen sich verselbständigen, scheint das
Einfordern von wissenschaftlicher Basisarbeit geradezu antiquiert. Und doch finde
ich den Zeitpunkt dafür gerade richtig. Für die Suche nach einer volkskundlichen
Fachidentität spielt die Frage nach der Rolle von Alltagskultur in den Museen, die
als Multiplikatoren der Fachinhalte gelten, eine wichtige Rolle.
In der vorliegenden Arbeit wurden die von der interdisziplinären „Alltagsdiskussion”
vor allem seit den 1970er Jahren postulierten wissenschaftlichen
Ansprüche den innerhalb der Museen gegebenen Möglichkeiten gegenübergestellt.
Die Untersuchung gibt damit einen Überblick über die Fach- und Museumsentwicklung
dieser Zeit und stellt die beiden
Advisors: | Burckhardt-Seebass, Christine |
---|---|
Committee Members: | Göttsch, Silke and Wyler, Stephen and Wildmann, Daniel |
Faculties and Departments: | 04 Faculty of Humanities and Social Sciences > Departement Gesellschaftswissenschaften > Fachbereich Kulturanthropologie > Kulturanthropologie (Leimgruber) |
UniBasel Contributors: | Wyler, Stephen and Wildmann, Daniel |
Item Type: | Thesis |
Thesis Subtype: | Doctoral Thesis |
Thesis no: | 4763 |
Thesis status: | Complete |
ISBN: | 3-89325-570-2 |
Number of Pages: | 269 |
Language: | German |
Identification Number: |
|
edoc DOI: | |
Last Modified: | 06 Mar 2023 10:51 |
Deposited On: | 13 Feb 2009 14:34 |
Repository Staff Only: item control page