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"Da hat die Geselligkeit edeln Gehalt". Das Riggenbach'sche Kränzchen als Beitrag zur Geselligkeit und zum Musikleben im Basel des 19. Jahrhunderts

Cimino, Paola. "Da hat die Geselligkeit edeln Gehalt". Das Riggenbach'sche Kränzchen als Beitrag zur Geselligkeit und zum Musikleben im Basel des 19. Jahrhunderts. 2005, Master Thesis, University of Basel, Faculty of Humanities and Social Sciences.

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Official URL: https://edoc.unibas.ch/60015/

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Abstract

Um 1850 waren die Möglichkeiten, in Basel musikalische Anlässe zu besuchen oder sich selbst musikalisch betätigen zu können, noch sehr begrenzt. Der Gesang zum Beispiel, der heute hauptsächlich in offenen Chören gepflegt wird, wurde zu jener Zeit fast ausschliesslich in Privathäusern praktiziert, in Singkränzchen, die vor allem ein für das vermögende Bürgertum typisches Phänomen waren. Meine Lizentiatsarbeit hat sich eines dieser Singkränzchen zum Gegenstand genommen, das "Riggenbach’sche Kränzchen". Das Hauptaugenmerk richtet sich dabei insbesondere auf die Rolle dieses Kränzchens als Heimstätte informeller bürgerlicher Geselligkeit und auf seine kulturelle Bedeutung für Basels Musikleben im 19. Jahrhundert.
Obwohl sich anhand des Themas Geselligkeit gesellschaftliche Entwicklungen und übergreifende Prozesse des sozialen Wandels hervorragend untersuchen lassen, hat die Geselligkeit als Gegenstand der Schweizer Geschichtsforschung bisher erst wenig Beachtung gefunden. Zudem bezieht sich die spärlich vorhandene Forschungsliteratur mehrheitlich auf die Städte Bern, Zürich und Genf, während die Geselligkeitsforschung rund um Basel noch weitgehend in den Kinderschuhen steckt. Mit meiner Untersuchung gedachte ich diese Forschungslücke zumindest ansatzweise zu schliessen.
Die geistigen Umwälzungen, welche die Französische Revolution und die Aufklärung mit sich gebracht hatten, wurden auch auf dem Gebiet der Musik spürbar. Nachdem es im Mittelalter die Geistlichen, zur Zeit des Humanismus vor allem die Gelehrten und im 18. Jahrhundert die Vornehmen waren, die jeweils am musikalischen Leben teilgenommen hatten, trat zu Beginn des 19. Jahrhunderts das Bürgertum als Kulturträger in den Vordergrund. Hausmusik galt als "Ingrediens bürgerlicher Etabliertheit", wobei die Musik nicht nur als passiv zu konsumierende "Dienstleistung" empfunden, sondern auch in ihrem hohen Grad an Geselligkeit und Selbstunterhaltung erlebt wurde, zu dem das gemeinsame Singen und Musizieren unverzichtbar dazu gehörte.
Als ein Gesangkränzchen im Oktober 1850 zum ersten Mal im Hause des Ehepaars Friedrich (1821-1904) und Margaretha (1829-1906) Riggenbach-Stehlin zusammentrat, ahnte man noch nicht, dass es viele Jahre hindurch in hoher Blüte stehen würde und eine wichtige Anregung für die Entwicklung des Musiklebens einer ganzen Stadt werden sollte.
Der illustre Zirkel – mit von der Partie waren berühmte Basler Persönlichkeiten wie der Kunsthistoriker Jacob Burckhardt oder der Rechtsgelehrte Andreas Heusler – frönte der musikalischen Geselligkeit und machte sich mit Liedwerken vertraut, die im Basel des 19. Jahrhunderts noch weitgehend unbekannt waren. Der vermögende Bankier Friedrich Riggenbach-Stehlin und seine Ehefrau Margaretha waren ausgesprochene Musikfreunde und grosszügige Gönner zahlreicher Musiker. Sie waren mit namhaften Künstlerinnen und Künstlern wie Johannes Brahms oder Clara Schumann befreundet und zu einem grossen Teil dafür verantwortlich, dass die Passionsmusik Johann Sebastian Bachs ihren Weg in die Schweiz gefunden hat. In ihrem Heim, dem geräumigen Kettenhof in der oberen Freien Strasse, organisierten die Riggenbachs zusammen mit August Walter, dem musikalischen Leiter des Kränzchens, und den Kränzchenmitgliedern Musikaufführungen und Hauskonzerte grossen Stils, die allen Beteiligten unvergessliche Momente bescherten.
Als Hauptquelle haben der Lizentiatsarbeit die von Friedrich Riggenbach-Stehlin verfassten Kränzchenannalen gedient. Diese Protokolle berichten detailliert und ausführlich über Proben, Programme und Vorkommnisse sowie über Mitwirkende und Zuhörende im Riggenbach’schen Kränzchen, das mit Unterbrechungen und in unterschiedlicher Besetzung bis ungefähr 1865 durchgeführt wurde.
Die Arbeit ist in vier Teile gegliedert. In einem ersten Teil wird das Riggenbach’sche Kränzchen mit einem Überblick und einer Einführung zum Thema musikalische Geselligkeit und Hausmusik in Basel um 1850 in seinen historischen Kontext eingebettet. Zunächst wird die Entwicklung des Basler Musiklebens seit dem Spätmittelalter festgehalten, dann folgt ein Abriss über musikalische Kränzchen und häusliches Musizieren in einzelnen Basler Bürgerhäusern des 19. Jahrhunderts. In einem weiteren Abschnitt werden gesellschaftliche- und musikalische Konkurrenz- und Alternativangebote zum Musikkränzchen dargelegt. Daran schliesst sich auf breitem Raum der zweite und der dritte Teil der Arbeit an. Der zweite Teil berichtet von den Akteurinnen und Akteuren des Riggenbach’schen Kränzchens, der dritte Teil davon wie es von ihnen gestaltet wurde. Im vierten und letzten Teil der Arbeit werden die Fragen nach der gesellschaftlichen Funktion des Riggenbach’schen Kränzchens, seinen Leistungen und seiner kulturellen Bedeutung für die Stadt Basel im 19. Jahrhundert beantwortet.
Das Ehepaar Riggenbach-Stehlin widmete sich mit grossem Engagement der Förderung und Hebung der Musik und der musikalischen Institute Basels. Ihr Interesse galt insbesondere der Vokalmusik und dem gemischten Chorgesang. So bestand das Repertoire des Riggenbach’schen Kränzchens hauptsächlich aus älterer und neuester Chormusik, wobei besonders den Werken Johann Sebastian Bachs und Robert Schumanns Beachtung geschenkt wurde. Ausgiebige Pflege fand im Kränzchen auch der Operngesang, wobei als Spezialität des Kreises die Opern Glucks zu nennen wären. Deshalb hatte sich das Riggenbach’sche Kränzchen für kurze Zeit auch "Orpheus Verein" genannt, wobei aber immer der private und informelle Charakter des Chores gewahrt blieb.
Im Kränzchen musizierte man zum eigenen Genuss und aus Freude am gemischten Chorgesang, trat jedoch schon bald auch bei wichtigen Familienereignissen der Kränzchenangehörigen sowie bei Hauskonzerten im Kettenhof auf und wirkte in August Walters öffentlichen Konzerten mit. Walter war seinerzeit einer der bedeutendsten Musiker in Basel, der in ausgesprochenem Masse auf die Kenntnis und Pflege vokaler Musik bedacht war. Dabei wirkte er nicht nur in Privatzirkeln, namentlich im Hause der Riggenbach-Stehlins, sondern auch in seinen alljährlich bis zu seinem Tode veranstalteten öffentlichen Konzerten, in denen er zum Teil selbst als Pianist in den Vordergrund trat.
Höhepunkte im Riggenbach’schen Kränzchen bildeten die Hauskonzerte und Kränzchenaufführungen im Kettenhof. Bei den Kränzchenaufführungen sang der Chor, der durchschnittlich aus etwa 20 bis 30 Sängerinnen und Sängern bestand, oftmals vor einem mehr als 100-köpfigen Publikum. Das Programm wurde gewöhnlich am gleichen Abend nach einer Erfrischungspause ein zweites Mal vorgeführt. Der eine Teil der Zuhörerschaft hörte sich beide Aufführungen an, der andere wechselte. Anschliessend an die Aufführungen wurden von einzelnen Kränzchenmitgliedern oft auch Lustspiele und Schwänke unter Einbeziehung von Gesang und selbstgedichteten Versen geboten, was von den Zuschauern mit Begeisterung aufgenommen wurde.
Die Hauskonzerte und Kammermusikabende, bei denen das Kränzchen gemeinsam mit anderen Gästen der Riggenbachs als Publikum zugegen war, standen oft im Zusammenhang mit der Anwesenheit eines auswärtigen Musikers. Das Ehepaar Riggenbach-Stehlin setzte alles daran, um beste Voraussetzungen für die Konzertabende zu schaffen und scheute dabei weder Mühe noch Kosten. Die Zimmer im Kettenhof wurden umgeräumt, aus dem Stadtcasino wurden Konzertsessel, Hänggerüste für die Garderobe und diverse Luster zur Optimierung des Beleuchtungsystems gemietet. Berühmte Künstlerpersönlichkeiten wie die Komponisten und Pianisten Johannes Brahms, Hans von Bülow, Theodor Kirchner, Clara Schumann, die Meistergeiger Ferdinand David und Joseph Joachim oder der Tenor Julius Stockhausen stiegen auf ihren Konzertreisen gerne im Kettenhof ab. Mit ihrer Gastfreundschaft hielten die Riggenbachs den Künstlerpersönlichkeiten stets Haus und Tafel offen, so dass diese immer wieder gerne in den Kettenhof einkehrten und somit auch immer wieder ihre Kunst und ihr Können nach Basel transferierten. Mit anderen Worten: Das Riggenbach’sche Haus brachte die Basler Konzertkultur in Kontakt mit der internationalen Musikwelt, und die reisenden Musiker fanden in Basel zudem ein dankbares und wenig verwöhntes Publikum.
Obwohl die Kränzchenmitglieder von den Riggenbach-Stehlins ungeachtet von Stand und Vermögen aufgenommen wurden, zeigte die Praxis rasch, dass zumindest der Bildungsanspruch eine Schranke darstellte. So entstand kein spürbares Standesgefälle, weil es sich bei den meisten Mitwirkenden und Zuhörenden um Intellektuelle von patrizischem Zuschnitt handelte, was dem Riggenbach’schen Kränzchen den Charakter einer Elitegesellschaft gab. Doch obwohl das Kränzchen durch seinen Bildungsanspruch und seinen privaten Charakter den Eindruck einer geschlossenen Gesellschaft vermittelte, verstand es sich nicht als eine Institution, die sich nach unten abgrenzte. Das Kränzchen war vielmehr darauf bedacht, die intern geführten musikalischen Diskurse nach aussen zu befördern und einem breiteren Publikum näher zu bringen.
Besonders interessant ist, dass eine enge Verbindung zwischen der Schweizerischen Erstaufführung der Bach’schen Johannespassion durch den Basler Gesangverein und dem Riggenbach’schen Kränzchen besteht. Es bedurfte viel Mut und Anstrengung, um in jener Zeit ein solches Werk zur Aufführung zu bringen. Sowohl den Sängern als auch dem Publikum war Bach’sche Musik noch ungewohnt. Die Riggenbach-Stehlins und viele weitere Mitglieder des Kränzchens waren auch im Basler Gesangverein aktiv und von Anfang an fest darum bemüht, das Projekt voranzutreiben und zu fördern. Das ehrgeizige Vorhaben trug dann auch seine Früchte. Trotz der vielen Schwierigkeiten und andauernden Diskussionen nahm die Endproduktion allmählich Gestalt an und kam am 31. Mai 1861 mit überwältigendem Erfolg zur Aufführung.
Mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln setzte das Ehepaar Riggenbach-Stehlin alles daran, um seine Mitmenschen mit der Schönheit der Musik in Berührung zu bringen. Die Eheleute vertraten jenes Bildungsideal, das Musik als Ausdruck eines höheren Lebensgefühls verstand. In diesem Bildungsideal äussert sich nicht nur die politisch-pädagogische Komponente im Sinne Heinrich Pestalozzis, sondern auch ein gesellschaftliches Bedürfnis nach der Intensivierung der zwischenmenschlichen Beziehungen, nach Brüderlichkeit und Freundschaft, wie es die Aufklärung propagiert hatte. Musik sollte dazu beitragen, Menschen miteinander zu verbinden, und tatsächlich waren die Musik und die damit verbundene Geselligkeit die wichtigsten Bindeglieder zwischen den Mitwirkenden im Riggenbach’schen Kränzchen. Mehr noch: Das Riggenbach’sche Kränzchen war nicht nur Selbstzweck und ausschliesslich zur Unterhaltung seiner Mitglieder gedacht. Sein Bestreben zielte auch darauf, das bestehende, noch junge Basler Chorwesen mit seinem musikalischen Wirken möglichst optimal zu ergänzen. Oft sprang das Kränzchen dort ein, wo Lücken zu füllen und Pionierarbeit zu verrichten war. Das Kränzchen engagierte sich vor allem dafür, noch unbekannte Lied- und Chorkompositionen aus älterer und neuester Zeit der Öffentlichkeit zur Kenntnis zu bringen. Das Riggenbach’sche Kränzchen war mehr als nur eine Einrichtung zur reinen Freizeitgestaltung; es diente der Förderung, der Verbreitung und der Popularisierung von Musik und trug wertvolle musikalische Kulturgüter, welche aus dem Repertoire vieler Gesangvereine und Musikgesellschaften heutzutage gar nicht mehr wegzudenken sind, in die Schweiz und insbesondere in die Stadt Basel.
Das Besondere am Riggenbach’schen Kränzchen war vor allem seine gesellige und überbrückende Funktion: Es fungierte als Scharnier zwischen dem Individuellen und dem Gesellschaftlichen, verband die private mit der öffentlichen Sphäre und wob unsichtbare Fäden, die sich aus den Privatstuben der Hausmusik hin in die Übungslokale der Gesangvereine und bis aufs Konzertpodium spannten. Gleichzeitig bot das Kränzchen seinen Mitgliedern die Möglichkeit, auf ungezwungene, informelle Art und Weise ihren Interessen nachgehen, einen Teil ihrer Freizeit gestalten und sich ausser mit Gesang und Musik auch mit geselliger Unterhaltung wie Dichten, Theater- und Gesellschaftsspielen, Tänzen oder der Geselligkeit im Freien bei Spazierfahrten und Wanderungen vergnügen zu können. Für viele Menschen brachte das Riggenbach’sche Kränzchen Glanz in das bis anhin von reformierter Einfachheit geprägte gesellschaftliche Leben, stiftete nachhaltige Kulturvermittlung und wurde zu einem Leuchtpunkt in der Entwicklungsgeschichte des Basler und des Schweizer Chorwesens.
Advisors:von Greyerz, Kaspar
Faculties and Departments:04 Faculty of Humanities and Social Sciences > Departement Geschichte > Ehemalige Einheiten Geschichte > Geschichte der frühen Neuzeit (von Greyerz)
UniBasel Contributors:von Greyerz, Kaspar
Item Type:Thesis
Thesis Subtype:Master Thesis
Thesis no:UNSPECIFIED
Thesis status:Complete
Last Modified:12 Mar 2018 07:56
Deposited On:06 Feb 2018 11:23

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