Falk, Francesca. "Jud Süss" und "Das Dritte Geschlecht": Verschränkte Diskurse von Ausgrenzung. Über das gegenseitige Verweisen diskriminierender Bilder, das Reden und Schweigen darüber. 2005, Master Thesis, University of Basel, Faculty of Humanities and Social Sciences.
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Official URL: https://edoc.unibas.ch/60074/
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Abstract
Im Dritten Reich drehte der Regisseur Veit Harlan den antisemitischen Hetzfilm „Jud Süss“. Nach dem Krieg musste sich Harlan für seine "künstlerische Tat" wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor Gericht verantworten. Aus "Mangel an Beweisen" wurde der Regisseur 1950 – allerdings unter sehr umstrittenen Umständen – freigesprochen. Harlan konnte in der Folge seine Regietätigkeit fortsetzen. Ende der 50er Jahre produziert er den Film „Das Dritte Geschlecht“, der laut der deutschen „Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft“ vom "Problem der Homosexualität" handelt.
Juden wie Homosexuelle treffen in beiden Filmen ähnliche Vorwürfe: Weltumspannende Netzwerke, nationale Illoyalität, ein Destabilisieren der Geschlechterpolarität. Diese diskriminierenden Vorstellungen lassen sich auf ein bestimmtes Bild zurückführen, jenes des „Grenzverwischers“. Wie über dieses Kollektivsymbol diskriminierende Diskurse verschränkt werden, zeige ich in meiner Arbeit. Der antisemitische und der homophobe Diskurs werden dadurch wechselseitig konstitutiv; durch die Verschränkung der Diskurse wird gewissermassen Plausibilität erzeugt.
Der „Grenzverwischervorwurf“ lässt sich in Veit-Harlans Filmen „Jud Süss“ und „Das Dritte Geschlecht“ an visuellen wie metaphorischen Bildern festmachen. Während Grenzabbau, -verschiebung und –überschreitung meist positiv konnotiert sind, gelten „Grenzverwischer“ gewissermassen als Spieler, die sich nicht an die – von wem auch immer vereinbarten – Regeln halten. Der „Grenzverwischer“ bezieht nicht eine konträre Position, die sich argumentativ widerlegen liesse, sondern ist als das konturlose, polymorphe und grenzüberschreitende Andere schlecht (an-) greifbar.
Doch nicht nur die Filme selbst sind als Quelle aufschlussreich. Aufgrund der öffentlichen Sichtbarkeit, die Harlan auch nach Kriegsende aufrecht erhält, wird er zum Auslöser heftiger Proteste. 1962 geht in einem Zürcher Kino gar eine Bombe hoch. Anhand von unveröffentlichtem Material aus dem Bundesarchiv, dem Archiv für Zeitgeschichte, dem Staatsarchiv des Kantons Basel-Stadt und der cinémathèque suisse rekonstruiere ich die diskursiven Auseinandersetzungen, welcher dieser Film in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen ausgelöst hat.
Nachdem ich Veit Harlans Strategie des apolitischen Kunstbegriffes dargestellt habe, zeichne ich den prüfenden Blick der deutschen „Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft“ auf „Das Dritte Geschlecht“ nach. Weiter rekonstruiere ich, wie sich in Basel zwischen den Behörden, dem Filmverleiher, der Israelitischen Gemeinde und einem katholischen Filmfunktionär Kommunikationsprozesse entwickeln. Wer erzählte für wen – und mit welcher Wirkung – welche Geschichte?
Bemerkenswert ist, dass in der Schweiz die genannte Diskursverschränkung in den Debatten um den Film „Das Dritte Geschlecht“ nicht thematisiert wurde. Funktionierte die Übertragung diskriminierender Bilder von Juden auf Homosexuelle – und umgekehrt – dadurch, dass das Publikum die diskriminierenden Bilder zwar wahrnahm, aber sie nicht auf ihre Herkunft hin analysierte, wodurch der Prozess der Übertragung unsichtbar blieb? Beruhte das Schweigen auf tatsächlich Ungesehenem und deshalb nicht Gesagtem oder auf Gesehenem und damit bewusst Verschwiegenem? Aufgrund des Nichtthematisierens in den schriftlich überlieferten Quellen könnte hier mit Oral-History-Ansätzen weitergearbeitet werden. Zu stellen ist zudem auch die Frage nach jenen Voraussetzungen, die dafür konstitutiv sind, dass der Vorwurf des „Grenzverwischens“ an Kraft gewinnt. An dieser Stelle setzt mein Dissertationsprojekt zur „Grenzevidenz“ an.
Juden wie Homosexuelle treffen in beiden Filmen ähnliche Vorwürfe: Weltumspannende Netzwerke, nationale Illoyalität, ein Destabilisieren der Geschlechterpolarität. Diese diskriminierenden Vorstellungen lassen sich auf ein bestimmtes Bild zurückführen, jenes des „Grenzverwischers“. Wie über dieses Kollektivsymbol diskriminierende Diskurse verschränkt werden, zeige ich in meiner Arbeit. Der antisemitische und der homophobe Diskurs werden dadurch wechselseitig konstitutiv; durch die Verschränkung der Diskurse wird gewissermassen Plausibilität erzeugt.
Der „Grenzverwischervorwurf“ lässt sich in Veit-Harlans Filmen „Jud Süss“ und „Das Dritte Geschlecht“ an visuellen wie metaphorischen Bildern festmachen. Während Grenzabbau, -verschiebung und –überschreitung meist positiv konnotiert sind, gelten „Grenzverwischer“ gewissermassen als Spieler, die sich nicht an die – von wem auch immer vereinbarten – Regeln halten. Der „Grenzverwischer“ bezieht nicht eine konträre Position, die sich argumentativ widerlegen liesse, sondern ist als das konturlose, polymorphe und grenzüberschreitende Andere schlecht (an-) greifbar.
Doch nicht nur die Filme selbst sind als Quelle aufschlussreich. Aufgrund der öffentlichen Sichtbarkeit, die Harlan auch nach Kriegsende aufrecht erhält, wird er zum Auslöser heftiger Proteste. 1962 geht in einem Zürcher Kino gar eine Bombe hoch. Anhand von unveröffentlichtem Material aus dem Bundesarchiv, dem Archiv für Zeitgeschichte, dem Staatsarchiv des Kantons Basel-Stadt und der cinémathèque suisse rekonstruiere ich die diskursiven Auseinandersetzungen, welcher dieser Film in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen ausgelöst hat.
Nachdem ich Veit Harlans Strategie des apolitischen Kunstbegriffes dargestellt habe, zeichne ich den prüfenden Blick der deutschen „Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft“ auf „Das Dritte Geschlecht“ nach. Weiter rekonstruiere ich, wie sich in Basel zwischen den Behörden, dem Filmverleiher, der Israelitischen Gemeinde und einem katholischen Filmfunktionär Kommunikationsprozesse entwickeln. Wer erzählte für wen – und mit welcher Wirkung – welche Geschichte?
Bemerkenswert ist, dass in der Schweiz die genannte Diskursverschränkung in den Debatten um den Film „Das Dritte Geschlecht“ nicht thematisiert wurde. Funktionierte die Übertragung diskriminierender Bilder von Juden auf Homosexuelle – und umgekehrt – dadurch, dass das Publikum die diskriminierenden Bilder zwar wahrnahm, aber sie nicht auf ihre Herkunft hin analysierte, wodurch der Prozess der Übertragung unsichtbar blieb? Beruhte das Schweigen auf tatsächlich Ungesehenem und deshalb nicht Gesagtem oder auf Gesehenem und damit bewusst Verschwiegenem? Aufgrund des Nichtthematisierens in den schriftlich überlieferten Quellen könnte hier mit Oral-History-Ansätzen weitergearbeitet werden. Zu stellen ist zudem auch die Frage nach jenen Voraussetzungen, die dafür konstitutiv sind, dass der Vorwurf des „Grenzverwischens“ an Kraft gewinnt. An dieser Stelle setzt mein Dissertationsprojekt zur „Grenzevidenz“ an.
Advisors: | Wecker, Regina |
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Faculties and Departments: | 04 Faculty of Humanities and Social Sciences > Departement Geschichte > Ehemalige Einheiten Geschichte > Frauen- und Geschlechtergeschichte (Wecker) |
UniBasel Contributors: | Falk, Francesca and Wecker, Regina |
Item Type: | Thesis |
Thesis Subtype: | Master Thesis |
Thesis no: | UNSPECIFIED |
Thesis status: | Complete |
Last Modified: | 12 Mar 2018 07:57 |
Deposited On: | 06 Feb 2018 11:24 |
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