Fridrich, Anna C.. Laufen in der Frühen Neuzeit. Sozioökonomische Strukturen und kommunale Organisation einer Kleinstadt. 2001, Doctoral Thesis, University of Basel, Faculty of Humanities and Social Sciences.
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Abstract
Die vorzustellende Untersuchung ist als einziges stadtgeschichtliches Projekt bei der Forschungsstelle Baselbieter Geschichte in Liestal entstanden, einem kantonal finanzierten Forschungsvorhaben, das 2001 mit der Veröffentlichung von "Nah dran, weit weg. Geschichte des Kantons Basel-Landschaft" abgeschlossen wurde.
Ausgehend von einem heterogenen Quellenkorpus mehrheitlich obrigkeitlicher Provenienz, vorwiegend aus dem 17. und 18. Jahrhundert, stellte sich die Arbeit die Aufgabe, eine frühneuzeitliche Kleinstadt aus unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten. Im Zentrum stand die differenzierte Betrachtung der städtischen Gesellschaft Laufens und ihrer kommunalen Organisation.
Laufen, im Fürstbistum Basel, gehörte zu der im frühneuzeitlichen Reich am weitest verbreiteten Form städtischen Lebens, den Kleinstädten mit etwa 1000 Einwohnerinnen und Einwohnern, die jedoch – anders als die durch zahlreiche Mikrostudien recht intensiv erforschten ländlichen Gesellschaften – noch kaum Thema von Forschungsarbeiten waren. Deshalb untersuchte ich in einer ersten Annäherung die demografischen und sozioökonomischen Strukturen der städtischen Gesellschaft, die Entstehung und Bedeutung der im 18. Jahrhundert entstandenen Zünfte und ging einer in der Stadt agierenden Gruppe, den Landjuden, nach, bevor ich meine zentrale Fragestellung anging: Mich interessierte, welche Auswirkungen die Entstehung des frühmodernen Staates in einer Kleinstadt hatte, die durch den sich verdichtenden Zentralstaat nur beschränkte Selbstverwaltungsrechte und wenige Privilegien einbüssen konnte, jedoch entschieden für deren Wahrung eintrat. Meine Untersuchung zum Verhältnis zwischen dem sich formierenden frühneuzeitlichen Staat und seinen Untertanen, nach der Durchsetzung, beziehungsweise Nichtdurchsetzung obrigkeitlicher Normen und nach der Wirkung und Praxis von Herrschaft, siedelte ich auf der lokalen Ebene der Stadt selbst an. Ausgangspunkt der Überlegungen zu den Herrschaftsverhältnissen war die Beschreibung der kommunalen Institutionen Laufens. Dabei sehe ich die Gemeinde nicht als monolithischen Block, sondern nehme die einzelnen Beteiligten sowie die Amtsträger in den Blick.
Methodisch versucht die Arbeit einen multiperspektivischen Zugang und ist der mikrogeschichtlich orientierten Sozialgeschichte verpflichtet. Der Umstand, dass die Kleinstadtforschung erst im Entstehen begriffen ist, zwang mich dazu, an Untersuchungen zu ländlichen Gesellschaften anzuknüpfen. Während sich meine zentrale Fragestellung an der frühneuzeitlichen Stadtgeschichte orientiert, wird das Kommunalismuskonzept, das mir als methodisches Werkzeug diente, eher in der Erforschung ländlicher Gesellschaften angewendet. Dass sich ein derartiges Konzept - es wurde seit den späten 1960er Jahren von Peter Blickle zur Beschreibung von Formen kommunalen Zusammenlebens entwickelt - für die Untersuchung einer Kleinstadt als nützlich erwies, hängt damit zusammen, dass Blickle mit dem Kommunalismus auch die Überwindung der getrennten Erforschung von Stadt und Land propagiert. Einschränkend ist allerdings zu sagen, dass «Stadt» eher grosse Reichsstädte meint, in denen sich der Rat zur Obrigkeit entwickeln konnte. Insofern fallen Kleinstädte, trotz der Absichtserklärung, tendenziell zwischen Stuhl und Bank.
Auffallendes Merkmal der demografischen Entwicklung Laufens ist, dass die Stadt im 18. Jahrhundert kein rasantes Wachstum erlebte. Sozioökonomisch lässt sich Laufen als so genannte Ackerbürgerstadt charakterisieren. Im späten 17. Jahrhundert betrieben etwa zwei Drittel der Bevölkerung Ackerbau, rund die Hälfte besass zudem Grossvieh. Allerdings konnte nur eine Minderheit der städtischen Einwohnerschaft von der Landwirtschaft allein leben. Rund drei Viertel der städtischen Haushalte waren schon am Ende des 17. Jahrhunderts ganz oder teilweise auf andere Erwerbsquellen angewiesen. Ein grosser, quantitativ jedoch nicht festzumachender Teil der städtischen Bevölkerung lebte von einem Mischerwerb. Rund die Hälfte der Laufner Haushaltsvorstände waren in der Frühen Neuzeit Handwerker, teilweise in Verbindung mit einer Nebenerwerbslandwirtschaft. Im 18. Jahrhundert schlossen sich namentlich die zahlreich vertretenen Bedarfshandwerker des Bekleidungs- und Textilbereichs zu Zünften zusammen, an denen auch Landmeister beteiligt waren. Das zünftische Wirtschaftssystem brach in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts allmählich auseinander. Anhand von gut dokumentierten Konflikten, einerseits zwischen Stadt- und Landmeistern, andererseits zwischen zünftigen Handwerkern und Händlern, darunter auch jüdischen Hausierern, lässt sich diese Entwicklung exemplarisch verdeutlichen. Laufen erlebte bis zum Ende des 18. Jahrhunderts keine nennenswerte (Proto-)Industrialisierung.
Untersuchungen von Herrschaftskonflikten zwischen Obrigkeit und Untertanen haben aufgezeigt, dass sich die Handlungsspielräume der Gemeinden seit dem 17. Jahrhundert, verglichen mit der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, verringert haben. Unruhen, anhand derer sich diese Entwicklung aufzeigen lässt, gab es auch in der Stadt Laufen. Erinnert sei an den bewaffneten Widerstand des Bauernaufstandes von 1525, die Kontributionsverweigerung von 1630 sowie an Supplikationen als Mittel der Konfliktaustragung (Beschwerden von 1693, 1696 und 1731) oder der gemeindlichen Interessenvertretung (Forderungskatalog anlässlich der Huldigung von 1657). Daraus lässt sich – so das Ergebnis meiner Arbeit – jedoch nicht ableiten, dass sich der Kommunalismus als Form gemeindlichen Zusammenlebens im 17. und 18. Jahrhundert im Niedergang befand.
Die kommunalen Institutionen Laufens – Gemeindeversammlung, Rat, an dessen Spitze der Bürgermeister, Gericht sowie an der Spitze der Gemeinde der Meier – ordnen sich auf den ersten Blick gut ins Kommunalismuskonzept ein. Bei genauerem Hinsehen stellt sich der Laufner Befund jedoch als bedeutend komplexer dar. Was im Modell nach einer klaren Architektur aussieht, war in Laufen gekennzeichnet durch institutionelle, personelle und räumliche Überschneidungen. Sie führten nicht selten zu Konflikten, die eine harmonisierende Sicht des Kommunalismus verbieten. Das Meieramt eignet sich besonders gut für die Ausleuchtung der innergemeindlichen Herrschaftsverhältnisse und der Beziehung zwischen dem Bischof und seinen Untertanen, stand der Meier doch als obrigkeitlich bestallter Amtsträger, der jedoch oft aus der städtischen Bürgerschaft stammte, an der Schnittstelle zwischen Gemeinde und Obrigkeit.
Betrachtet man allein die Bestallungen des Meiers, scheint sich das Bild der kommunalen Herabminderung durch das Erstarken des frühmodernen Staates zu bestätigen. Während der Bischof in den Bestallungen des 16. Jahrhunderts regelte, was der Meier zu tun hatte, legte er seit dem Beginn des 17. Jahrhunderts Wert darauf zu sagen, was sein Amtmann alles nicht durfte. Der Meier verlor an Selbständigkeit und wurde stärker in die Hierarchie der Vogtei eingebunden. Landvogt und Schaffner überwachten sein Tun. Im 18. Jahrhundert setzte sich diese Entwicklung akzentuiert fort. Der Meier wurde zu einem städtischen Kontroll- und Aufsichtsorgan im Dienste des Landvogts und des Fürsten. In einem eigenartigen Kontrast zu dieser Entwicklung des Amtes steht die Tatsache, dass es seit der Mitte des 17. Jahrhunderts mehrheitlich nicht von Männern aus der städtischen Bürgerschaft, sondern zweimal von Adligen, im 18. Jahrhundert zweimal von Juristen, 1790 sogar vom adligen Landvogt in Personalunion ausgeübt wurde. Mit der Wahl der Adligen und Juristen erhöhte sich die Professionalisierung der Amtsausübung. Dass «Verwaltungsprofis» das Amt anstrebten, belegt, dass es, trotz beschränkter Entscheidungskompetenzen und geringem Einkommen, attraktiv war. Die Attraktivität erklärt sich wohl dadurch, dass die Handlungsspielräume des Meiers in der Praxis zumindest verhandelbar blieben, obwohl die Bestallung seine Kompetenzen beschnitt. Die Unterordnung des Meiers unter den Landvogt war im Alltag lange nicht so augenfällig, wie die Bestallungen vermuten lassen. Demnach blieben kommunale Handlungsspielräume bestehen, auch wenn die fürstliche Absicht zu deren Beschränkung unverkennbar ist. Die Rekonstruktion der Biografie von einzelnen Meiern veranschaulicht, in welcher Weise sich Konfliktlinien und Herrschaftszusammenhänge im Alltag und in den Lebensläufen dieser Amtsträger spiegeln. Besonders gilt dies für Nikolaus Kern, Stadtmeier von 1744 bis 1777. Die aussergewöhnliche Quellenlage aus seiner Amtszeit macht es möglich, die Perspektive zu öffnen und mikrogeschichtliche Fragestellungen zu beleuchten. Dass kein anderer Meier so gut fassbar ist, hängt zum einen mit Kerns langer Amtszeit zusammen, zum andern jedoch mit der Tatsache, dass er gleichzeitig das Landschreiberamt in der Vogtei Zwingen bekleidete und dadurch von Amtes wegen Akten produzierte. Dabei nutzte er die Gelegenheit, immer wieder, auch in eigener Sache, aktiv zu werden. Die prosopografischen Daten über die Laufner Meier habe ich zu einem biografischen Anhang verdichtet.
Angesichts des bischöflichen Willens, intermediäre Ebenen zurückzudrängen und die Macht zu zentralisieren, stellt sich die Frage, in welchem Mass die Durchsetzung obrigkeitlicher Normen gelang. Die Ausleuchtung der städtischen Herrschaftspraxis förderte zahlreiche «unspektakuläre» Konflikte zu Tage, die verdeutlichen, inwiefern die Untertanen die Verwirklichung bischöflicher Ziele durch ihr Handeln begrenzen konnten. Im städtischen Bewusstsein war der Meier von nicht zu unterschätzender Bedeutung, da er Träger der städtischen Herrschafts- und Gerichtsrechte war. Deshalb nahm die Stadt den Wandel des Meieramtes nicht einfach hin, sondern setzte sich für die Wahrung seiner Rechte und gegen eine Entfremdung des Meieramtes ein. Der städtische Widerstand lässt sich an zwei Beispielen verdeutlichen: Stadtmeier Kern sah sich während seiner über 30-jährigen Amtszeit immer wieder in Konflikte mit dem Rat verwickelt. Nikolaus Kern verstand sich selbst als Fürstendiener und als Aufsichtsgremium über den städtischen Rat, während die Ratsherren erwarteten, dass der Meier ihre Tätigkeit nicht überwache, sondern schütze. In den immer wieder aufflammenden Auseinandersetzungen widersetzten sie sich einer Definition des Meieramtes, die den städtischen Vorstellungen nicht entsprach. 1778 beabsichtigte ein anonymer Schreiber, bei dem es sich höchst wahrscheinlich um den neu gewählten Meier selbst handelte, den Stadtmeier aus der zudienenden Rolle für den Landvogt zu lösen und das Amt wieder in den Dienst der Stadt und der städtischen Gerichtsbarkeit zu stellen. Obwohl er keine Erneuerung der Bestallung erwirken konnte, versuchte der Meier seine Sicht des Amtes in der alltäglichen Praxis gegen den Landvogt durchzusetzen.
Die Obrigkeit sah den Meier als Informationszuträger im Dienste des Landvogtes und des Bischofs. Sie beabsichtigte damit eine stärkere Kontrolle auf Gemeindeebene. Auffallend ist allerdings, dass selbst ein Meier, der sich wie Nikolaus Kern explizit als loyaler Fürstendiener definierte, diese Rolle nur unter gewissen Bedingungen spielte. Da der Obrigkeit die Mittel fehlten, den Meier und die Gemeinden zur Kommunikation zu zwingen, blieben kommunale Handlungsspielräume erhalten. Besonders deutlich werden sie, wenn man sich die zeitliche Dimension vor Augen führt. Unter Umständen dauerte es Jahre, bevor die Obrigkeit vom Geschehen in der Stadt erfuhr und dazu Stellung nehmen konnte. Für das 18. Jahrhundert lässt sich belegen, dass der Bischof von Begebenheiten in Laufen erst erfuhr, wenn Konflikte entstanden, die sich nicht mehr innerhalb der kommunalen Institutionen oder innerhalb der Gemeinde lösen liessen; dann wurde die Obrigkeit zu Hilfe gerufen.
Der städtische Widerstand gegen die obrigkeitliche Vereinnahmung belegt, dass von einem generellen Niedergang des Kommunalismus nicht die Rede sein kann. In dieselbe Richtung weist ein zentrales Ergebnis meiner Arbeit, nämlich die Tatsache, dass nicht alle Herrschaftskonflikte Unruhen (im Sinne von Konflikten zwischen Obrigkeit und Untertanen) waren. Konflikte um die Wahrung kommunaler Handlungsspielräume und städtischer Rechte – Konflikte also, die für den Kommunalismus von grosser Bedeutung sind – spielten sich im 18. Jahrhundert in Laufen innerhalb der kommunalen Institutionen (zwischen Meier und Rat) und innerhalb der Gemeinde (zwischen Bürgerschaft und Rat) ab.
Der herrschaftlichen Durchdringung waren, aus Gründen der praktischen Durchführbarkeit und durch das Handeln kommunaler Amtsträger, die sich für die überkommenen Rechte ihrer Gemeinden und für ihre eigenen Kompetenzen einsetzten, enge Grenzen gesetzt. Zudem präsentiert sich das Erstarken des bischöflichen Zentralstaates in einem anderen Licht, wenn man nach den Akteuren dieser Ebene fragt. Ratsherr und Bürgermeister Franz Joseph Cueni als Hofkammerrat und Stadtmeier Nikolaus Kern als Hofrat, stellen zwei Beispiele dar für die Mitwirkung kommunaler Amtsträger in der bischöflichen Zentrale in Pruntrut.
Die Arbeit ist bereits erschienen:
Anna C. Fridrich: «... das einem das Guthe zu fliessen solle wie dass Bösse». Laufen – eine Kleinstadt in der Frühen Neuzeit, Liestal 2002.
Ausgehend von einem heterogenen Quellenkorpus mehrheitlich obrigkeitlicher Provenienz, vorwiegend aus dem 17. und 18. Jahrhundert, stellte sich die Arbeit die Aufgabe, eine frühneuzeitliche Kleinstadt aus unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten. Im Zentrum stand die differenzierte Betrachtung der städtischen Gesellschaft Laufens und ihrer kommunalen Organisation.
Laufen, im Fürstbistum Basel, gehörte zu der im frühneuzeitlichen Reich am weitest verbreiteten Form städtischen Lebens, den Kleinstädten mit etwa 1000 Einwohnerinnen und Einwohnern, die jedoch – anders als die durch zahlreiche Mikrostudien recht intensiv erforschten ländlichen Gesellschaften – noch kaum Thema von Forschungsarbeiten waren. Deshalb untersuchte ich in einer ersten Annäherung die demografischen und sozioökonomischen Strukturen der städtischen Gesellschaft, die Entstehung und Bedeutung der im 18. Jahrhundert entstandenen Zünfte und ging einer in der Stadt agierenden Gruppe, den Landjuden, nach, bevor ich meine zentrale Fragestellung anging: Mich interessierte, welche Auswirkungen die Entstehung des frühmodernen Staates in einer Kleinstadt hatte, die durch den sich verdichtenden Zentralstaat nur beschränkte Selbstverwaltungsrechte und wenige Privilegien einbüssen konnte, jedoch entschieden für deren Wahrung eintrat. Meine Untersuchung zum Verhältnis zwischen dem sich formierenden frühneuzeitlichen Staat und seinen Untertanen, nach der Durchsetzung, beziehungsweise Nichtdurchsetzung obrigkeitlicher Normen und nach der Wirkung und Praxis von Herrschaft, siedelte ich auf der lokalen Ebene der Stadt selbst an. Ausgangspunkt der Überlegungen zu den Herrschaftsverhältnissen war die Beschreibung der kommunalen Institutionen Laufens. Dabei sehe ich die Gemeinde nicht als monolithischen Block, sondern nehme die einzelnen Beteiligten sowie die Amtsträger in den Blick.
Methodisch versucht die Arbeit einen multiperspektivischen Zugang und ist der mikrogeschichtlich orientierten Sozialgeschichte verpflichtet. Der Umstand, dass die Kleinstadtforschung erst im Entstehen begriffen ist, zwang mich dazu, an Untersuchungen zu ländlichen Gesellschaften anzuknüpfen. Während sich meine zentrale Fragestellung an der frühneuzeitlichen Stadtgeschichte orientiert, wird das Kommunalismuskonzept, das mir als methodisches Werkzeug diente, eher in der Erforschung ländlicher Gesellschaften angewendet. Dass sich ein derartiges Konzept - es wurde seit den späten 1960er Jahren von Peter Blickle zur Beschreibung von Formen kommunalen Zusammenlebens entwickelt - für die Untersuchung einer Kleinstadt als nützlich erwies, hängt damit zusammen, dass Blickle mit dem Kommunalismus auch die Überwindung der getrennten Erforschung von Stadt und Land propagiert. Einschränkend ist allerdings zu sagen, dass «Stadt» eher grosse Reichsstädte meint, in denen sich der Rat zur Obrigkeit entwickeln konnte. Insofern fallen Kleinstädte, trotz der Absichtserklärung, tendenziell zwischen Stuhl und Bank.
Auffallendes Merkmal der demografischen Entwicklung Laufens ist, dass die Stadt im 18. Jahrhundert kein rasantes Wachstum erlebte. Sozioökonomisch lässt sich Laufen als so genannte Ackerbürgerstadt charakterisieren. Im späten 17. Jahrhundert betrieben etwa zwei Drittel der Bevölkerung Ackerbau, rund die Hälfte besass zudem Grossvieh. Allerdings konnte nur eine Minderheit der städtischen Einwohnerschaft von der Landwirtschaft allein leben. Rund drei Viertel der städtischen Haushalte waren schon am Ende des 17. Jahrhunderts ganz oder teilweise auf andere Erwerbsquellen angewiesen. Ein grosser, quantitativ jedoch nicht festzumachender Teil der städtischen Bevölkerung lebte von einem Mischerwerb. Rund die Hälfte der Laufner Haushaltsvorstände waren in der Frühen Neuzeit Handwerker, teilweise in Verbindung mit einer Nebenerwerbslandwirtschaft. Im 18. Jahrhundert schlossen sich namentlich die zahlreich vertretenen Bedarfshandwerker des Bekleidungs- und Textilbereichs zu Zünften zusammen, an denen auch Landmeister beteiligt waren. Das zünftische Wirtschaftssystem brach in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts allmählich auseinander. Anhand von gut dokumentierten Konflikten, einerseits zwischen Stadt- und Landmeistern, andererseits zwischen zünftigen Handwerkern und Händlern, darunter auch jüdischen Hausierern, lässt sich diese Entwicklung exemplarisch verdeutlichen. Laufen erlebte bis zum Ende des 18. Jahrhunderts keine nennenswerte (Proto-)Industrialisierung.
Untersuchungen von Herrschaftskonflikten zwischen Obrigkeit und Untertanen haben aufgezeigt, dass sich die Handlungsspielräume der Gemeinden seit dem 17. Jahrhundert, verglichen mit der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, verringert haben. Unruhen, anhand derer sich diese Entwicklung aufzeigen lässt, gab es auch in der Stadt Laufen. Erinnert sei an den bewaffneten Widerstand des Bauernaufstandes von 1525, die Kontributionsverweigerung von 1630 sowie an Supplikationen als Mittel der Konfliktaustragung (Beschwerden von 1693, 1696 und 1731) oder der gemeindlichen Interessenvertretung (Forderungskatalog anlässlich der Huldigung von 1657). Daraus lässt sich – so das Ergebnis meiner Arbeit – jedoch nicht ableiten, dass sich der Kommunalismus als Form gemeindlichen Zusammenlebens im 17. und 18. Jahrhundert im Niedergang befand.
Die kommunalen Institutionen Laufens – Gemeindeversammlung, Rat, an dessen Spitze der Bürgermeister, Gericht sowie an der Spitze der Gemeinde der Meier – ordnen sich auf den ersten Blick gut ins Kommunalismuskonzept ein. Bei genauerem Hinsehen stellt sich der Laufner Befund jedoch als bedeutend komplexer dar. Was im Modell nach einer klaren Architektur aussieht, war in Laufen gekennzeichnet durch institutionelle, personelle und räumliche Überschneidungen. Sie führten nicht selten zu Konflikten, die eine harmonisierende Sicht des Kommunalismus verbieten. Das Meieramt eignet sich besonders gut für die Ausleuchtung der innergemeindlichen Herrschaftsverhältnisse und der Beziehung zwischen dem Bischof und seinen Untertanen, stand der Meier doch als obrigkeitlich bestallter Amtsträger, der jedoch oft aus der städtischen Bürgerschaft stammte, an der Schnittstelle zwischen Gemeinde und Obrigkeit.
Betrachtet man allein die Bestallungen des Meiers, scheint sich das Bild der kommunalen Herabminderung durch das Erstarken des frühmodernen Staates zu bestätigen. Während der Bischof in den Bestallungen des 16. Jahrhunderts regelte, was der Meier zu tun hatte, legte er seit dem Beginn des 17. Jahrhunderts Wert darauf zu sagen, was sein Amtmann alles nicht durfte. Der Meier verlor an Selbständigkeit und wurde stärker in die Hierarchie der Vogtei eingebunden. Landvogt und Schaffner überwachten sein Tun. Im 18. Jahrhundert setzte sich diese Entwicklung akzentuiert fort. Der Meier wurde zu einem städtischen Kontroll- und Aufsichtsorgan im Dienste des Landvogts und des Fürsten. In einem eigenartigen Kontrast zu dieser Entwicklung des Amtes steht die Tatsache, dass es seit der Mitte des 17. Jahrhunderts mehrheitlich nicht von Männern aus der städtischen Bürgerschaft, sondern zweimal von Adligen, im 18. Jahrhundert zweimal von Juristen, 1790 sogar vom adligen Landvogt in Personalunion ausgeübt wurde. Mit der Wahl der Adligen und Juristen erhöhte sich die Professionalisierung der Amtsausübung. Dass «Verwaltungsprofis» das Amt anstrebten, belegt, dass es, trotz beschränkter Entscheidungskompetenzen und geringem Einkommen, attraktiv war. Die Attraktivität erklärt sich wohl dadurch, dass die Handlungsspielräume des Meiers in der Praxis zumindest verhandelbar blieben, obwohl die Bestallung seine Kompetenzen beschnitt. Die Unterordnung des Meiers unter den Landvogt war im Alltag lange nicht so augenfällig, wie die Bestallungen vermuten lassen. Demnach blieben kommunale Handlungsspielräume bestehen, auch wenn die fürstliche Absicht zu deren Beschränkung unverkennbar ist. Die Rekonstruktion der Biografie von einzelnen Meiern veranschaulicht, in welcher Weise sich Konfliktlinien und Herrschaftszusammenhänge im Alltag und in den Lebensläufen dieser Amtsträger spiegeln. Besonders gilt dies für Nikolaus Kern, Stadtmeier von 1744 bis 1777. Die aussergewöhnliche Quellenlage aus seiner Amtszeit macht es möglich, die Perspektive zu öffnen und mikrogeschichtliche Fragestellungen zu beleuchten. Dass kein anderer Meier so gut fassbar ist, hängt zum einen mit Kerns langer Amtszeit zusammen, zum andern jedoch mit der Tatsache, dass er gleichzeitig das Landschreiberamt in der Vogtei Zwingen bekleidete und dadurch von Amtes wegen Akten produzierte. Dabei nutzte er die Gelegenheit, immer wieder, auch in eigener Sache, aktiv zu werden. Die prosopografischen Daten über die Laufner Meier habe ich zu einem biografischen Anhang verdichtet.
Angesichts des bischöflichen Willens, intermediäre Ebenen zurückzudrängen und die Macht zu zentralisieren, stellt sich die Frage, in welchem Mass die Durchsetzung obrigkeitlicher Normen gelang. Die Ausleuchtung der städtischen Herrschaftspraxis förderte zahlreiche «unspektakuläre» Konflikte zu Tage, die verdeutlichen, inwiefern die Untertanen die Verwirklichung bischöflicher Ziele durch ihr Handeln begrenzen konnten. Im städtischen Bewusstsein war der Meier von nicht zu unterschätzender Bedeutung, da er Träger der städtischen Herrschafts- und Gerichtsrechte war. Deshalb nahm die Stadt den Wandel des Meieramtes nicht einfach hin, sondern setzte sich für die Wahrung seiner Rechte und gegen eine Entfremdung des Meieramtes ein. Der städtische Widerstand lässt sich an zwei Beispielen verdeutlichen: Stadtmeier Kern sah sich während seiner über 30-jährigen Amtszeit immer wieder in Konflikte mit dem Rat verwickelt. Nikolaus Kern verstand sich selbst als Fürstendiener und als Aufsichtsgremium über den städtischen Rat, während die Ratsherren erwarteten, dass der Meier ihre Tätigkeit nicht überwache, sondern schütze. In den immer wieder aufflammenden Auseinandersetzungen widersetzten sie sich einer Definition des Meieramtes, die den städtischen Vorstellungen nicht entsprach. 1778 beabsichtigte ein anonymer Schreiber, bei dem es sich höchst wahrscheinlich um den neu gewählten Meier selbst handelte, den Stadtmeier aus der zudienenden Rolle für den Landvogt zu lösen und das Amt wieder in den Dienst der Stadt und der städtischen Gerichtsbarkeit zu stellen. Obwohl er keine Erneuerung der Bestallung erwirken konnte, versuchte der Meier seine Sicht des Amtes in der alltäglichen Praxis gegen den Landvogt durchzusetzen.
Die Obrigkeit sah den Meier als Informationszuträger im Dienste des Landvogtes und des Bischofs. Sie beabsichtigte damit eine stärkere Kontrolle auf Gemeindeebene. Auffallend ist allerdings, dass selbst ein Meier, der sich wie Nikolaus Kern explizit als loyaler Fürstendiener definierte, diese Rolle nur unter gewissen Bedingungen spielte. Da der Obrigkeit die Mittel fehlten, den Meier und die Gemeinden zur Kommunikation zu zwingen, blieben kommunale Handlungsspielräume erhalten. Besonders deutlich werden sie, wenn man sich die zeitliche Dimension vor Augen führt. Unter Umständen dauerte es Jahre, bevor die Obrigkeit vom Geschehen in der Stadt erfuhr und dazu Stellung nehmen konnte. Für das 18. Jahrhundert lässt sich belegen, dass der Bischof von Begebenheiten in Laufen erst erfuhr, wenn Konflikte entstanden, die sich nicht mehr innerhalb der kommunalen Institutionen oder innerhalb der Gemeinde lösen liessen; dann wurde die Obrigkeit zu Hilfe gerufen.
Der städtische Widerstand gegen die obrigkeitliche Vereinnahmung belegt, dass von einem generellen Niedergang des Kommunalismus nicht die Rede sein kann. In dieselbe Richtung weist ein zentrales Ergebnis meiner Arbeit, nämlich die Tatsache, dass nicht alle Herrschaftskonflikte Unruhen (im Sinne von Konflikten zwischen Obrigkeit und Untertanen) waren. Konflikte um die Wahrung kommunaler Handlungsspielräume und städtischer Rechte – Konflikte also, die für den Kommunalismus von grosser Bedeutung sind – spielten sich im 18. Jahrhundert in Laufen innerhalb der kommunalen Institutionen (zwischen Meier und Rat) und innerhalb der Gemeinde (zwischen Bürgerschaft und Rat) ab.
Der herrschaftlichen Durchdringung waren, aus Gründen der praktischen Durchführbarkeit und durch das Handeln kommunaler Amtsträger, die sich für die überkommenen Rechte ihrer Gemeinden und für ihre eigenen Kompetenzen einsetzten, enge Grenzen gesetzt. Zudem präsentiert sich das Erstarken des bischöflichen Zentralstaates in einem anderen Licht, wenn man nach den Akteuren dieser Ebene fragt. Ratsherr und Bürgermeister Franz Joseph Cueni als Hofkammerrat und Stadtmeier Nikolaus Kern als Hofrat, stellen zwei Beispiele dar für die Mitwirkung kommunaler Amtsträger in der bischöflichen Zentrale in Pruntrut.
Die Arbeit ist bereits erschienen:
Anna C. Fridrich: «... das einem das Guthe zu fliessen solle wie dass Bösse». Laufen – eine Kleinstadt in der Frühen Neuzeit, Liestal 2002.
Advisors: | Opitz-Belakhal, Claudia |
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Faculties and Departments: | 04 Faculty of Humanities and Social Sciences > Departement Geschichte > Ehemalige Einheiten Geschichte > Geschichte der frühen Neuzeit (Opitz-Belakhal) |
UniBasel Contributors: | Opitz Belakhal, Claudia |
Item Type: | Thesis |
Thesis Subtype: | Doctoral Thesis |
Thesis no: | UNSPECIFIED |
Thesis status: | Complete |
Last Modified: | 02 Aug 2021 17:38 |
Deposited On: | 06 Feb 2018 11:24 |
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