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La Federazione delle Colonie Libere Italiane in Svizzera (FCLIS). Migrantenorganisationen der italienischen Einwanderung am Beispiel der FCLIS, 1960-1970

Schaub, Björn. La Federazione delle Colonie Libere Italiane in Svizzera (FCLIS). Migrantenorganisationen der italienischen Einwanderung am Beispiel der FCLIS, 1960-1970. 2005, Master Thesis, University of Basel, Faculty of Humanities and Social Sciences.

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Official URL: https://edoc.unibas.ch/60555/

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Abstract

„Anche a noi piace vivere in una casa decente, avere attorno la moglie e i figli, costruire per noi e per loro un avvenire sereno e stabile.“
Diese Aussage fiel auf einer Versammlung italienischer MigrantInnen 1965 in Bern und nimmt das Fazit meiner Lizentiatsarbeit vorweg. Die Lizentiatsarbeit befasst sich mit der Migrationsgeschichte der ItalienerInnen in der Schweiz. Die Schweiz erlebt seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts das Phänomen der Einwanderung von italienischen Arbeitskräften. Zahlen und Fakten dieser Wanderbewegungen sind bekannt. Weniger bekannt ist jedoch, wie die MigrantInnen in der Schweiz lebten, welche Netzwerke sie knüpften und wie sich daraus eine vielfältige Vereinskultur entwickelte.
Meine Arbeit konzentriert sich in ihrer Untersuchung des italienischen Vereinswesens auf die grösste und bedeutendste italienische Migrantenorganisation der Schweiz: die Federazione delle Colonie Libere Italiane in Svizzera (FCLIS). Ziel meiner Arbeit ist es, die Geschichte der 1943 gegründeten FCLIS in den 60er Jahren aus verschiedenen Perspektiven darzustellen. Im Einführungsteil wird die Migrationspolitik von Italien und der Schweiz aufgezeigt und mit Ausführungen über die italienische Migration in Zahlen dokumentiert. Im Hauptteil werden die Entstehungsgeschichte, das Vereinsprofil, die Ziele und Aktivitäten sowie das Selbstbild der FCLIS untersucht.
Es existiert kaum Literatur, die sich umfassend und nach wissenschaftlichen Kriterien mit der FCLIS befasst. Diese Feststellung ist auf die spezifische Fragestellung zurückzuführen, die auf ein weitgehend unerforschtes Gebiet in der Migrationsforschung zielt. Migration ist, wie das Nationale Forschungsprogramm Nummer 39 (NFP 39) „Migration und interkulturelle Beziehungen“ zeigt, ein äusserst komplexes Phänomen. Im NFP 39 widmen sich verschiedene wissenschaftliche Disziplinen wie Ethnologie, Geschichte, Geographie, Medizin, Pädagogik, Politologie, Rechtswissenschaft, Soziologie, Wirtschaft und andere mehr diesem Thema. Trotz der zahlreichen involvierten Disziplinen weist die Migrationsforschung blinde Flecken auf. Rosita Fibbi hinterfragt im Nachwort des NFP 39 die „dominierende staatszentrierte Perspektive“ der historischen Studien und plädiert für eine „akteurzentrierte Perspektive“, welche langfristige Perspektiven und den Fokus auf Migrantengruppen in die Forschungsansätze einbeziehen. Genau an diesem Punkt setzt meine Lizentiatsarbeit an:
Die Federazione delle Colonie Libere Italiane in Svizzera organisiert als Dachverband gesamtschweizerisch die lokalen freien italienischen Kolonien. Sie wurde von MigrantInnen gegründet, finanziert und geleitet. Die FCLIS existiert bis heute als eigenständige und unabhängige Migrantenorganisation. Ihr aktueller Präsident, Claudio Micheloni, wurde bei den italienischen Parlamentswahlen 2006 von den AuslanditalienerInnen in Europa als Senator gewählt.
Die FCLIS entstand 1943 im Umfeld von antifaschistischen Flüchtlingen in der Schweiz und verfolgte drei Ziele: Den Kontakt zu den Massen der EmigrantInnen herstellen, die EmigrantInnen dem Einfluss der faschistischen Politik der italienischen Konsulate entziehen und sie mit den allgemeinen Idealen von Demokratie und Freiheit vertraut machen. Das übergeordnete Ziel war der Kampf gegen den Faschismus.
Das Ende des Zweiten Weltkriegs brachte für die FCLIS massive strukturelle und konzeptionelle Änderungen mit sich: Die Rückwanderung der politischen Flüchtlinge riss die Symbiose mit der Arbeitsmigration auseinander. Die AntifaschistInnen waren nicht angetreten, um sich den Problemen der ArbeitsmigrantInnen anzunehmen. Nach einer langen Krise wurde auf dem nationalen Kongress 1947 ein Grundsatzentscheid gefällt: Der Dachverband sollte weiter bestehen und sich für die Bedürfnisse der italienischen Arbeitskräfte in der Schweiz einsetzen.
Zu Beginn der 50er Jahre beschloss die FCLIS erstmals in ihrer Geschichte, eine Petition zuhanden der italienischen Regierung zu lancieren. Ihre Forderung: Gratispass für die AuswanderInnen. Innerhalb weniger Monate wurden in der Schweiz über 15'000 Unterschriften gesammelt und bei italienischen Parteien sowie Gewerkschaften intensiv Lobbyarbeit betrieben. Mit Erfolg, wie sich 1959 zeigte, als das Gesetz über den Gratispass in Kraft trat.
Die 50er Jahre waren aber für den Dachverband der freien italienischen Kolonien nicht nur von Erfolgen geprägt, sondern auch von gravierenden Problemen. So warfen sich die Vorstandsmitglieder gegenseitig vor, die Organisation für ihre persönlichen Zwecke zu instrumentalisieren. In Folge dessen trat der Redaktor der Zeitschrift der FCLIS nach achtjähriger Tätigkeit zurück. Hinzu kamen ernsthafte Probleme, die von aussen an den Verband herangetragen wurden. In den Jahren 1955 bis 1958 verwies die Schweiz dutzende von italienischen Arbeitskräften des Landes. Die Landesverweise im Sommer 1955 wurden im offiziellen Pressecomuniqué des schweizerischen Justiz- und Polizeidepartements damit begründet, dass die ausgewiesenen ItalienerInnen KommunistInnen seien und am Arbeitsplatz neue Aktivistenzellen gegründet hätten mit dem Ziel, die Führung der Colonie Libere Italiane zu übernehmen (die Ausgewiesenen waren allerdings gar nicht Mitglied der FCLIS).
Ein Jahr später wurden jedoch drei Mitglieder der Kolonie Schaffhausen des Landes verwiesen. Der Vorstand des Dachverbands der freien italienischen Kolonien war geschockt und alarmiert über diese Ereignisse und suchte nach Möglichkeiten, den schweizerischen Behörden glaubhaft zu versichern, dass die FCLIS keiner politischen Partei angehöre. Innerhalb des Vorstandes wurde darüber diskutiert, beispielsweise BeobachterInnen der schweizerischen Behörden an die Vorstandsversammlungen einzuladen oder die Statuten zu ändern. Letzteres wurde auf dem nationalen Kongress von 1956 beschlossen. Damit wurden die Statuten um einen Absatz in Artikel Drei ergänzt, welcher der FCLIS ausdrücklich jegliche parteipolitische Aktivität untersagte. Das Thema Landesverweise war damit allerdings nicht abgeschlossen und beschäftigte die Organisation auch noch in den 60er Jahren.
In diesem Jahrzehnt war die Schweiz zahlenmässig mit einer starken Einwanderung konfrontiert: 1970 wohnten rund 600'000 ItalienerInnen in der Schweiz. In den 60er Jahren unterzog die FCLIS, aufgrund der raschen Vergrösserung des Verbands auf 116 angeschlossene Kolonien mit über 15'000 Mitgliedern, ihre Organisationsstrukturen einer Reform und professionalisierte zugleich ihre Verwaltung. Die Umstrukturierung stärkte die föderativ-demokratischen Strukturen der Migrantenorganisation und steigerte die Funktionalität des Verbands.
Mit „Emigrazione Italiana“ verfügte die FCLIS über ein eigenes Presseerzeugnis. Die Zeitung diente als Sprachrohr für die Aktivitäten des Verbands und seinen Kolonien. „Emigrazione Italiana“ steigerte in den 60er Jahren ihre Auflage und wurde stetig ausgebaut. Sie umfasste zahlreiche Rubriken: Information und Beratung über rechtliche Fragen, Nachrichten aus den Kolonien, Italien und der Welt, Sport, Kultur und eine Spalte, in der die Schweiz vorgestellt wurde.
Das vielfältige Vereinsleben in den Bereichen soziale Hilfestellung, Beratung und Information, Freizeitgestaltung, Kultur und Politik wurde vor allem von den lokalen Kolonien geprägt. Aufgabe des Dachverbands war es, mittels seiner Arbeitskommissionen die nationalen Aktivitäten zu planen und zu koordinieren.
Die Passivität der italienischen Regierung im Bereich Auswanderung und das Aufkommen von fremdenfeindlichen Gruppierungen in der Schweiz politisierte die FCLIS in den 60er Jahren stark. Auf zahlreichen Kongressen formulierten die Delegierten der Kolonien Forderungen an Italien und die Schweiz. Von der italienischen Regierung verlangten sie zum einen Gleichberechtigung mit ihren in Italien lebenden Landsleuten und zum anderen Gratisdienstleistungen des italienischen Staats für AuswanderInnen. Die Ansprüche der FCLIS betrafen Themen wie Krankenversicherung, Altersvorsorge, Gratispass oder Gratisbahnfahrten. Von der schweizerischen Regierung hingegen forderte der Verband sozialen Wohnungsbau und kämpfte gegen die unmenschliche Trennung der AuswanderInnen von ihren Familien und für die Abschaffung des Saisonnierstatuts. Ausserdem sah die FCLIS in der Forderung nach politischem Mitbestimmungsrecht in der Schweiz ein Mittel für die erfolgreiche Integration der ItalienerInnen in die schweizerische Gesellschaft. Integration war in den Augen des Verbands die einzige Antwort auf die fremdenfeindliche „Schwarzenbach-Initiative“. Die FCLIS verlangte von der italienischen Regierung ebenfalls mehr Partizipationsrechte und erhob insbesondere Anspruch auf Mitspracherecht in Belangen, welche direkt die MigrantInnen betrafen wie etwa die Verhandlungen von Staatsverträgen im Bereich Auswanderung. Ein weiteres grosses Anliegen des Verbands war die berufliche Weiterbildung der Erwachsenen und die Einschulung der Migrantenkinder. Im Bildungsbereich trat die FCLIS für eine nationale Koordination und den Ausbau der bestehenden Angebote ein.
Während die Forderungen nach mehr politischer Partizipation der MigrantInnen sowohl in Italien als auch in der Schweiz chancenlos waren, feierte die FCLIS mit der Einführung des Gratispasses 1959 und der Krankenversicherung für AuswanderInnen und ihre Familienangehörigen 1968 zwei Erfolge. Diese waren auch dank der Lobbyarbeit der FCLIS zustande gekommen. Sie stützte sich dabei auf ihr Beziehungsnetz bestehend aus politischen Parteien, Gewerkschaften und Behörden. Dabei fällt auf, dass sie mehr Kontakte zu Italien pflegte als zur Schweiz. Dies war keineswegs Zufall, sondern Ausdruck des Programms der FCLIS, welche die Ansicht vertrat, dass die italienische Regierung für die Lösung der Probleme ihrer ausgewanderten BürgerInnen verantwortlich sei und nicht das Aufnahmeland. Der grösste Teil seiner Forderungen richtete der Verband deshalb an die italienische Regierung und vertrat seine Anliegen bei Ministerien, Parteien und Gewerkschaften. In der Schweiz arbeitete er eng mit dem INCA, der Dienstleistungs- und Beratungsstelle des Allgemeinen Italienischen Gewerkschaftsbunds zusammen.
Der Verband bemühte sich auch um Kontakte mit den schweizerischen Gewerkschaften, da er der Meinung war, dass die Integration der ItalienerInnen in die schweizerische Gesellschaft am leichtesten über diese Organisationen möglich sei. Die Beziehungen mit den Arbeitnehmerverbänden der Schweiz waren jedoch oftmals aus sachpolitischen oder ideologischen Gründen schwierig oder sogar unmöglich. So warnte etwa der Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds 1967 davor, Mitglieder der FCLIS in der Gewerkschaft aufzunehmen, da die FCLIS von der Kommunistischen Partei Italiens ferngesteuert sei. Im Übrigen beschuldigte die schweizerische Bundesanwaltschaft AktivistInnen der CLI, kommunistische Propaganda zu betreiben. Unter den dutzenden von italienischen MigrantInnen, gegen die in den 50er und 60er Jahren Landesverweise ausgesprochen wurden, befanden sich auch einige AktivistInnen der CLI. Es ist jedoch sehr fraglich, ob die massive Überwachung der FCLIS durch die Bundespolizei und die Beschuldigungen gerechtfertigt waren.
Wie die Untersuchungen zum Selbstbild zeigen, praktizierte die FCLIS glaubwürdig eine parteipolitisch unabhängige Interessenpolitik, die sich den Anliegen der MigrantInnen annahm. Die Kolonien verstanden sich als überparteiliche Organisation, die allen italienischen AuswanderInnen offen stand. Dies geht sowohl aus den Statuten wie auch aus den Verteidigungsschriften hervor, mit welchen sich der Dachverband gegen verleumderische Vorwürfe zur Wehr setzte. Die Entstehungsgeschichte der FCLIS als antifaschistische Organisation veranschaulicht, weshalb die Interessen der FCLIS im politischen Verständnis als links der Mitte zu bezeichnen sind. Davon zeugen auch die Gedenkanlässe, welche der Verband alljährlich feierte. Sie verweisen auf die antifaschistischen, republikanisch-demokratischen Traditionen und Grundwerte des Verbands und beinhalten gleichzeitig auch Aspekte einer in der Nachkriegszeit entwickelten Arbeiteridentität.
Einer der bemerkenswertesten Aspekte in der Geschichte der Federazione delle Colonie Libere Italiane in Svizzera ist ihr Umgang mit der Dynamik, die im Phänomen Migration steckt. Migration ist ein Prozess. Die Kolonien und die FCLIS waren folglich gezwungen, sich stetig zu wandeln, um den neuen Umständen, Gegebenheiten und Bedürfnissen ihrer Mitglieder gerecht zu werden. Dazu gehörte an erster Stelle der Übergang von der temporären Migration zur Niederlassung. Im Zentrum standen dabei Fragen rund um das Thema Integration. Ein Thema das im Einwanderungsland Schweiz bis heute nicht an Aktualität verloren hat...
Advisors:Mooser, Josef
Faculties and Departments:04 Faculty of Humanities and Social Sciences > Departement Geschichte > Ehemalige Einheiten Geschichte > Neuere Allgemeine Geschichte (Mooser)
UniBasel Contributors:Mooser, Josef
Item Type:Thesis
Thesis Subtype:Master Thesis
Thesis no:UNSPECIFIED
Thesis status:Complete
Last Modified:12 Mar 2018 08:00
Deposited On:06 Feb 2018 11:28

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