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„Gott gebe das wir das Liebe Engelein mit Freüden wieder sehen Mögen“. Vom Umgang mit dem Tod in Basel, 1750-1850

Zihlmann-Märki, Patricia. „Gott gebe das wir das Liebe Engelein mit Freüden wieder sehen Mögen“. Vom Umgang mit dem Tod in Basel, 1750-1850. 2008, Doctoral Thesis, University of Basel, Faculty of Humanities and Social Sciences.

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Official URL: https://edoc.unibas.ch/60782/

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Abstract

Tod und Sterben ist auch in der Geschichtswissenschaft seit Philippe Ariès' Standardwerk „Geschichte des Todes“ ein viel erforschtes Gebiet. Im Gegensatz zu Ariès, der sich in seiner Studie auf einen Zeitraum von etwa 1500 Jahren konzentriert, beschränkt sich meine Untersuchung auf die Zeit zwischen 1750 und 1850. Sie fragt ganz allgemein danach, wie man damals in Basel mit Tod und Sterben umging, sowie ob ein Wandel der damit verknüpften Rituale und Vorstellungen sichtbar wird, wie es beispielsweise Reinhart Kosellecks Charakterisierung jenes Jahrhunderts als „Sattelzeit“ vermuten lässt. Der Vorteil einer solch fokussierten Studie liegt auf der Hand: Die spezifischen Umstände können stärker einbezogen, einzelnen Fragen kann genauer nachgegangen werden.
Theoretischer Zugang
Das der Studie zugrunde liegende theoretische Konzept erkennt in der Lebenswelt eine Schnittstelle zwischen historischem Subjekt und es umgebenden Strukturen. Beide sind wechselseitig aufeinander bezogen und wirken dementsprechend aufeinander. Doch wird das Subjekt nicht nur beeinflusst durch Normen, wirtschaftliche und soziale Zustände, kollektive Mentalitäten, sondern auch durch persönliche Ein- und Vorstellungen, Erfahrungen und individuelle Dispositionen. Die Lebenswelt ist der Raum, in der das Subjekt letztlich bedeutungsvoll handelt und mit vielen anderen Subjekten und Kollektiven in Beziehung steht. Für die Untersuchung des historischen Umgangs mit dem Tod lassen sich daraus etwa folgende Annahmen ableiten: Die Reglementierung des Bestattungswesens wurde beispielsweise geprägt von Vorstellungen vom Tod und Jenseits, von althergebrachten Ritualen, neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen oder technischen Errungenschaften und bestimmten sozialen Zeitumständen. Dies beeinflusste das (mehr oder weniger) alltägliche Bestattungsritual, an dem alle Mitglieder der Gesellschaft beteiligt waren. Religiöse Vorstellungen – etwa die im Spätmittelalter entstandenen und durch die zeitgenössische Erbauungs- und Sterbeliteratur weiter tradierten „artes moriendi“ - konnten das Handeln und Denken der Menschen strukturieren. All dies schlug sich im Schreiben historischer Subjekte nieder, d.h. sich daran orientierend (oder auch nicht!), deuteten letztere Ereignisse (z.B. Todesfälle) oder rückblickend ihren Lebenslauf. Damit wiederum war Schreibern die Möglichkeit gegeben, die Wahrnehmung und Deutung bestimmter Ereignisse durch die Leser ihrer Schriften zu beeinflussen. Individuelle Dispositionen und Ansichten formten das Schreiben massgeblich mit. Darum nannten wahrscheinlich nicht alle Autoren und Autorinnen ihre Gefühle nach dem Tod eines nahen Verwandten. Schliesslich müssten in Selbstzeugnissen kollektive Vorstellungen, Normen und Rituale fassbar sein, die allerdings nur gefiltert durch das schreibende Individuum vorliegen.
Bestattungsgeschichte
Als hauptsächliche Quellen habe ich in meiner Studie Verwaltungsakten und Selbstzeugnisse herangezogen. Die Untersuchung der ersteren hat primär einem deskriptiven Interesse gedient, nämlich der Rekonstruktion der Basler Bestattungsgeschichte im 18. und 19. Jahrhundert. Damit wird eine Forschungslücke geschlossen, denn ältere Skizzen des Bestattungswesens sind oberflächlich und lassen präzise Quellenangaben vermissen. Es hat sich gezeigt, dass die Reglementierung des Basler Bestattungswesens für den untersuchten Zeitraum vergleichbar mit derjenigen in anderen Gebieten ist: Bis zur Helvetik (1798-1803) wurden v.a. Mandate erlassen, welche die Untertanen zum Masshalten – zur „Moderation“ (ein christliches und diätetisches Gebot) – auch bei Bestattungszeremonien und der Trauerbekundung aufforderten. Wichtige Tendenzen der Bestattungsreglementierung waren die zunehmenden Kontrollbestrebungen der Obrigkeit resp. der Behörden, v.a. nach 1800: Dies umfasste zunächst die Registrierung der Sterbe- und anderen Zivilstandsfälle, später wurden zu diesem Zweck vorgefertigte Formulare bereit gestellt. Seit den 1820er Jahren fand auch die Angabe von Heimat, Name, Religionszugehörigkeit, Alter und Beruf Eingang in die Einträge. Ebenso sollten alle Verstorbenen – nun also auch Selbstmörder oder Ungetaufte, die früher aus Glaubensgründen in Kirchenbüchern fehlten – registriert werden. Die Verwaltung des Bestattungswesens verankerte man in den 1840er Jahren gesetzlich; bis 1868 wurde es vollständig kommunalisiert. Schliesslich kam es ebenfalls in den 1840er Jahren zu einer umfassenden und detaillierten Reglementierung des Friedhofsbetriebs. Anordnung und Grösse der Gräber legte man ebenso fest, wie deren Verzierung und die Öffnungszeiten der Friedhöfe. Zwischen den 1840er Jahren und etwa 1870 gab es weitere Neuerungen: Festes und spezialisiertes Bestattungspersonal wurde eingestellt, also etwa Grabmacher, Gärtner oder Leichenwärter. Für alle Personen, die ihren Verdienst mit Bestattungen sicherten, entstanden einheitliche Reglemente. Besonders wichtig war den Behörden, dass fortan keine Leichen mehr – auch nicht solche von Kleinkindern – ohne Meldung beerdigt wurden. Ich habe zwei „Berufsgruppen“ etwas genauer betrachtet, die mit Tod und Bestattung zu tun hatten: Erstens die bis ins 18. Jahrhundert als „unehrlich“ geltenden Kohlenberger „Totengräber“, deren „Jnstitut“ 1842 aufgelöst wurde. Sie übernahmen im von mir untersuchten Zeitraum nur noch sporadisch – nämlich in Krisenzeiten und bei Sonderbestattungen – die Funktion von Grabmachern. Mehrheitlich erledigten sie Hilfsarbeiten und reinigten Gefängnisse, Türme und Dohlen. Zweitens zeigte ein Fallbeispiel, dass das Kondolieren – ein bis ins erste Drittel des 18. Jahrhunderts theatralisch anmutendes Begräbniszeremoniell, das mit dem heute bekannten Brauch wenig gemein hat – in veränderter Gestalt noch bis ins 19. Jahrhundert bestand. Doch mit den seit etwa 1800 entstehenden Begräbnisanstalten wurde es für einzelne Kondolierer zunehmend schwierig, ihr Auskommen ohne Anstellung bei solchen Anstalten zu sichern. Vorher genügte meist eine Einbindung in die städtischen Kommunikationsnetzwerke, damit die Kondolierer rechtzeitig von einem Todesfall erfuhren und ihre Dienste – meist durch ihre Frauen oder Töchter – anbieten konnten.Die Entwicklung der Begräbnisplätze, die im Wesentlichen mit derjenigen in anderen Gebieten übereinstimmte, zeichnete ich anhand der Münstergemeinde nach. Auch hier lassen sich Tendenzen feststellen: 1. Auslagerung an die Peripherie, 2. räumliche Trennung von der Kirche und 3. Zentralisierung/Konzentration (ein einziger Begräbnisplatz für die Angehörigen einer ganzen Kirchgemeinde). Aktenstücke, Bilder, Selbstzeugnisse und Zeitungsberichte vermitteln einen Eindruck, wie die Begräbnisplätze ausgesehen haben: So gab es etwa noch im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts Grabhügel, die Gräber waren selten gleichmässig angeordnet und trugen, falls überhaupt, z.T. sehr unterschiedliche Grabzeichen. Die Untersuchung von Verwaltungsakten gibt einen Einblick in die Probleme, mit denen die Behörden konfrontiert waren. Hierzu zählten etwa gefährliche „Ausdünstungen“, die gemäss den zeitgenössischen medizinischen Konzepten von Leichen und Bestattungsplätzen ausgingen, oder Lebendigbestattungen in Folge von Scheintodfällen. Sonderbestattungen von Verunglückten, z.B. von im Rhein Ertrunkenen, fanden bis in die 1840er Jahre auf dem negativ konnotierten „Schindanger“ statt, obwohl dies die Obrigkeit schon 1817 verboten hatte. Die Diskriminierung von Selbstmördern durch die Bestattung wurde erst 1851 gesetzlich abgeschafft.
Tod und Sterben in Basler Selbstzeugnissen
Die Untersuchung von Basler Selbstzeugnissen aus dem 18. und 19. Jahrhundert gliedert sich in zwei Teile, die mit verschiedenen Fragestellungen und Methoden an die Quellen herantreten. Zunächst untersuchte ich die rund 66 Selbstzeugnisse meines Quellenkorpus danach, inwiefern die Autorinnen und Autoren sich zu Sterberitualen, Tod in Krisenzeiten, Jenseitsvorstellungen äusserten, ob sie ihre durch Todesfälle ausgelösten Emotionen nannten und was sich über die Mechanismen des Totengedenkens sagen lässt. Damit wollte ich kollektiven Ein- und Vorstellungen nachspüren und erfahren, wie einzelne Themen generell in Selbstzeugnissen behandelt wurden. Die Analyse der Selbstzeugnisse bestätigte die Untersuchungsergebnisse für andere Gebiete und die aus den Verwaltungsakten ersichtlichen Bestattungsrituale, ergab z.T. aber auch interessante Zusatzhinweise. Dank Lucas Sarasin-Werthemanns (1730-1802) Familienbuch wissen wir, dass tot oder zu früh geborene Kinder an einem speziellen Ort im Münsterkreuzgang bestattet wurden und im Familiengrab – einem emotional bedeutsamen Ort – auch langjährige Bedienstete einen Platz finden konnten. Ursula Merian-Burckhardt (1752-1833) notierte in ihren Familiennotizen alle Kosten, die sich bei einem Todesfall ansammelten. Darunter finden wir auch Ausgaben für die Totenwache, einem sonst meist in katholischen Gebieten vorkommenden Ritual. Die Nervenfieberepidemie, die 1814 in Basel mehr als 800 Todesopfer forderte, wurde erstaunlicherweise nur in drei Selbstzeugnissen thematisiert. Um sie zu bekämpfen, verbot der Sanitätsrat u.a. Bestattungen in Kirchen. Dies veränderte die Begräbnispraxis wesentlich und hatte langfristige Folgen für die städtische Begräbnistopographie. Im gleichen Jahr zeigte sich nämlich, dass es auf dem Martinskirchhof kaum noch Platz für weitere Leichen hatte. Im Zuge dessen plante man den neuen allgemeinen Begräbnisplatz zu St. Elisabeth, den man als ersten Friedhof der Münstergemeinde bewusst an der städtischen Peripherie errichtete. In einer Mehrheit der Selbstzeugnisse beschrieben die Autoren und Autorinnen ihre Gefühle nach dem Tod naher Verwandter und taxierten diese meist als Schmerz- und Trauergefühle. Häufig verglichen sie sich mit Hiob und baten Gott um Trost und Beistand. Selbstzeugnisse boten also die Möglichkeit, religiös zu handeln, Glaubensvorstellungen zu bestätigen und sich mit Gott in ein Gespräch zu begeben. Indem Selbstzeugnisse durch ihre Deutungen Gegenwart und Zukunft mitkonstituierten, waren sie auch in die Zukunft gerichtet. Sie konnten am Totengedächtnis mitschreiben und verhalfen so den Verstorbenen zum Weiterleben. Äusserten Selbstzeugnisautoren ihre Jenseitsvorstellungen, so zeichneten sie meist Himmelsbilder, die den durch die zeitgenössischen Erbauungsschriften und Katechismen vermittelten entsprachen. Mehrheitlich formulierten sie die Hoffnung auf ein Wiedersehen mit den vorangegangenen Verwandten im himmlischen Jenseits. Die Vorstellung eines gestuften Jenseits, die v.a. in pietistisch-“erweckten“ Kreisen, aber auch bei Aufklärern seit dem letzten Drittel des 18. Jahrhunderts Anklang fand, lässt sich nur im Selbstzeugnis des Handelsmannes Lucas Forcart-Respinger (1789-1869) nachweisen.In einem zweiten Teil widmete ich mich der Frage nach dem Schreiben über den eigenen Tod. Zwei Selbstzeugnisse stechen aus dem Quellenkorpus heraus, nämlich diejenigen der Pfarrerstochter Esther Hauser-Faesch (1783-1844) und des schon genannten Lucas Forcart-Respingers. In beiden waren Gedanken über das eigene Sterben allgegenwärtig, beide Schreiber waren sehr religiös. Während Hauser-Faesch oft von Mutlosigkeit und Zweifeln hinsichtlich ihres Seelen- resp. Gnadenstandes geplagt und darum noch nicht zu sterben bereit war, sehnte sich Forcart-Respinger in seiner ersten Lebenshälfte den Tod herbei. Insgesamt deutete er die Überwindung von Selbstmordgedanken und seine zunehmende Frömmigkeit als Beweis dafür, dass ihm göttliche Gnade zu Teil wurde. Das Schreiben über den eigenen Tod konnte also auch ein Mittel der Selbstdarstellung sein.
Kontinuitäten und Brüche
Die Studie hat offengelegt, dass es im Basel des 18. und 19. Jahrhunderts Kontinuitäten und Veränderungen im Umgang mit dem Tod gab: Religiöse und Jenseitsvorstellungen hielten sich, zumindest in gewissen Kreisen, noch sehr lange. So lebten etwa die „artes moriendi“ in der zeitgenössischen Sterbeliteratur fort, welche Schreiber und Schreiberinnen lasen und z.T. in ihre Selbstzeugnisse trugen. Auch das, was wir heute als „Vorurteile“ oder „Aberglauben“ bezeichnen, blieb bis weit ins 19. Jahrhundert bestehen. Hier sei nur an die Bestattung von Selbstmördern und Verunglückten oder an die Gruppe der Kohlenberger erinnert. Natürlich gab es auch Brüche im Umgang mit dem Tod. Sie lassen sich insbesondere im Ritual- und Begräbniswesen verorten.
AbbildungenLinke Seite: Der eingefriedete Kirchhof zu St. Theodor mit Epitaphien und Grabschilden an den Kirchenmauern. StABS SLL BSL BILD Schn. 205, Aquarell (J. J. Schneider, o.J., vor 1876).Rechte Seite: Sicht auf den Friedhof zu St. Elisabeth, dessen Bepflanzung, Ummauerung und Grabmäler. StABS Planarchiv D 5, 40 (o.J., wohl um 1845).
Advisors:von Greyerz, Kaspar
Faculties and Departments:04 Faculty of Humanities and Social Sciences > Departement Geschichte > Ehemalige Einheiten Geschichte > Geschichte der frühen Neuzeit (von Greyerz)
UniBasel Contributors:von Greyerz, Kaspar
Item Type:Thesis
Thesis Subtype:Doctoral Thesis
Thesis no:UNSPECIFIED
Thesis status:Complete
Last Modified:12 Mar 2018 08:02
Deposited On:06 Feb 2018 11:30

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