Schüssler, Alexandra. Spirituelle Performance: Anti-Lysis. 2017, Master Thesis, University of Basel, Cross-disciplinary Subjects.
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Official URL: https://edoc-vmtest.ub.unibas.ch/65366/
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Abstract
Lyse oder Lysis (griechisch λύσις, lýsis, „Lösung, Auflösung, Beendigung“) bezeichnet den biologischen Prozess des durch die Auflösung der Zellmembran verursachten Zerfalls einer Zelle. Die Zellmembran umschließt die Zelle als Ganzes und grenzt das Zellinnere vom extrazellulären Raum ab. Sie gewährt die Aufrechterhaltung des inneren Milieus und ist sowohl Barriere als auch Vermittler.
Die interaktive Performance ANTILYSIS entlehnt den naturwissenschaftlichen Begriff der Lyse, um in ihrem Titel auf die Absicht der Veranstaltung hinzuweisen. Das Ritual zielt darauf ab, der sozialen Atomisierung entgegenzuwirken.
Die theoretische Grundlage beruht auf Arnold van Genneps Konzept der Übergangsriten. „Jede Veränderung im Leben eines Individuums erfordert teils profane, teils sakrale Aktionen und Reaktionen, die reglementiert und überwacht werden müssen, damit die Gesellschaft als Ganzes weder in Konflikt gerät, noch Schaden nimmt. Es ist das Leben selbst, das die Übergänge [...] notwendig macht.“ (Van Gennep 2005:15) Unter Übergangsriten versteht Van Gennep die Praxis profaner und sakraler (Re)Aktionen. Die Übergangsriten fungieren als Reglementierung der Überführung eines Individuums von einer genau definierten Position in eine andere. Sie gewährleisten eine sichere Transition. Die Praxis der Spiritual Care kommt genau dann zum Einsatz, wenn sich Subjekte im Übergang befinden: Von Gesundheit zur Krankheit und unter Umständen wieder zurück, vom Leben in den Tod, vom Festhalten zum Loslassen.
Vier institutionelle Räume fließen in ANTILYSIS zusammen: Der Kunstraum (Museum, Galerie), der Sakralraum (Kirche), der Bildungsort (Schule) und der medizinische Bereich (Krankenhaus). Die Räume sind durch spatiale Strukturierung und spezifische Paraphernalien definiert.
An diesem „Amalgam-Ort“ wird das Ritual der Fußwaschung, basierend auf dem Evangelium nach Johannes 13, 1-17, ausgeführt. Die Ritualistin, welche die Rolle der Kuratorin, der Priesterin, der Unterweisenden, der Behandelnden einnimmt, holt die ihr Anvertrauten in einem Wartesaal einzeln ab.
Auf Augenhöhe wird der Museumsbesucher, Kirchengänger, Lernende beziehungsweise Patient hinter eine semitransparente Wand geführt und zum Platznehmen eingeladen.
In diesem Moment blickt die Ritualistin auf ihr Gegenüber hinab. Mit einer Geste des Kniefalls schwankt die Blickachse. Die Knieende wird von oben angeblickt. In der Handlung der Fußwaschung lebt sie eine spezifische Haltung dem Anderen gegenüber vor. In dieser offenbart sich Respekt, Offenheit, Angstfreiheit, Zugewandtheit, Wohlwollendheit und Vertrauen. Im Akt der Berührung sollten sich beide Ritualpartner im Verknüpfungspunkt von horizontaler und vertikaler Spiritualität befinden.
Nach dem Trocknen der Füße stehen sich Ritualistin und Anvertrauter wieder auf Augenhöhe gegenüber. Zusammen erreichen sie über einen schmalen Steg den nächsten Raum. In diesem lichtdurchfluteten Saal ist der Boden knöchelhoch mit Talkpuder bedeckt. Der Anvertraute wird dazu angehalten, von nun an seinen Weg alleine weiterzugehen. Es wird das Meer von Talkum, das sich auf der Haut wie trockenes Wasser anfühlt, durchschritten, um über ausgelegte Perserteppiche den letzten Raum zu erreichen. In diesem befindet sich eine Situation, die an das Letzte Abendmahl erinnert. Eine Gemeinschaft von Zwölf findet sich allmählich am Tisch ein und isst und trinkt vom bereitgestellten Brot und Wein. Während man im Wartebereich auf Distanz zueinander sitzen musste, eine Zeitschrift mit relevanten Texten erhielt, und damit jegliche Kommunikation erschwert war, sitzt man nunmehr ganz eng um einen Tisch und bildet eine Gemeinschaft, der die gleiche Erfahrung zuteil wurde. Die individuelle Behandlung verschränkt sich mit dem Erlebnis einer zufälligen Schicksalsgemeinschaft. Ein reger Austausch des Erlebten war anvisiert.
Saß man als Wartender im Fluchtpunkt von Plakaten, die zentralperspektivisch angeordnet waren, ist man nunmehr mit einer monumentalen Wand mit Plakaten konfrontiert, die alle vom Punkt als zentrales Element charakterisiert werden. Durch eine Tür in dieser Wand erreicht man die Außenwelt, in welche der Besucher die gerade erfahrene Haltung dem Anderen gegenüber hinaustragen soll. Die liebevolle Expertise, in deren Genuss der Anvertraute während des Rituals gekommen ist, soll im sozialen Umgang außerhalb der Institution an andere weitergegeben werden. Diese Attitüde trägt eine Kohäsion innerhalb der sozialen Struktur mit.
Gegen Erwartungen hat keiner der Besucher den Warteraum verlassen und sich somit dem Ritual entzogen. Einerseits könnte man diesen Umstand institutioneller Macht zuschreiben, andererseits hat das Team des Ausstellungsraumes auf der Lyss alles daran gesetzt, eine Vertrauensbasis zu schaffen. Schon beim Ankommen wurden die Besucher empfangen, indem man deren Namen aufnahm. Nachdem Jacken und Taschen sicher in Schließfächern untergebracht waren, wurde man in den ersten Saal geführt und unterwiesen, sich Schuhe und Socken auszuziehen und diese in dafür vorbereitete Beutel zu verstauen. In sachlichem, aber freundlichem Ton bekam man die Information, wie man die Schuhe am Ende des Rituals wiedererlangen könne. Es wurde suggeriert, dass jede Handlung wohlüberlegt und nichts dem Zufall überlassen sei. Jede Person sollte sich als solche angesprochen fühlen und daher war in der Wartesituation konstante Präsenz eines Betreuers gegeben. Wasser wurde gereicht und die Zeitschrift verteilt.
Die Ritualistin vermittelte eine Determiniertheit in der Reihenfolge, mit sie ihre Anvertrauten abholte, ohne dass ein Nummernsystem gehandhabt werden musste. Die Handlung der Fußwaschung folgte einer strengen Choreographie, von der nicht abgewichen wurde und die verbale Kommunikation war auf ein Minimum beschränkt: Man vertraute sich selbst und etwas, das einen selbst überstieg. Genau dieser Umstand sorgte für Vertrauen und schuf eine Atmosphäre der Verbundenheit.
Die interaktive Performance ANTILYSIS entlehnt den naturwissenschaftlichen Begriff der Lyse, um in ihrem Titel auf die Absicht der Veranstaltung hinzuweisen. Das Ritual zielt darauf ab, der sozialen Atomisierung entgegenzuwirken.
Die theoretische Grundlage beruht auf Arnold van Genneps Konzept der Übergangsriten. „Jede Veränderung im Leben eines Individuums erfordert teils profane, teils sakrale Aktionen und Reaktionen, die reglementiert und überwacht werden müssen, damit die Gesellschaft als Ganzes weder in Konflikt gerät, noch Schaden nimmt. Es ist das Leben selbst, das die Übergänge [...] notwendig macht.“ (Van Gennep 2005:15) Unter Übergangsriten versteht Van Gennep die Praxis profaner und sakraler (Re)Aktionen. Die Übergangsriten fungieren als Reglementierung der Überführung eines Individuums von einer genau definierten Position in eine andere. Sie gewährleisten eine sichere Transition. Die Praxis der Spiritual Care kommt genau dann zum Einsatz, wenn sich Subjekte im Übergang befinden: Von Gesundheit zur Krankheit und unter Umständen wieder zurück, vom Leben in den Tod, vom Festhalten zum Loslassen.
Vier institutionelle Räume fließen in ANTILYSIS zusammen: Der Kunstraum (Museum, Galerie), der Sakralraum (Kirche), der Bildungsort (Schule) und der medizinische Bereich (Krankenhaus). Die Räume sind durch spatiale Strukturierung und spezifische Paraphernalien definiert.
An diesem „Amalgam-Ort“ wird das Ritual der Fußwaschung, basierend auf dem Evangelium nach Johannes 13, 1-17, ausgeführt. Die Ritualistin, welche die Rolle der Kuratorin, der Priesterin, der Unterweisenden, der Behandelnden einnimmt, holt die ihr Anvertrauten in einem Wartesaal einzeln ab.
Auf Augenhöhe wird der Museumsbesucher, Kirchengänger, Lernende beziehungsweise Patient hinter eine semitransparente Wand geführt und zum Platznehmen eingeladen.
In diesem Moment blickt die Ritualistin auf ihr Gegenüber hinab. Mit einer Geste des Kniefalls schwankt die Blickachse. Die Knieende wird von oben angeblickt. In der Handlung der Fußwaschung lebt sie eine spezifische Haltung dem Anderen gegenüber vor. In dieser offenbart sich Respekt, Offenheit, Angstfreiheit, Zugewandtheit, Wohlwollendheit und Vertrauen. Im Akt der Berührung sollten sich beide Ritualpartner im Verknüpfungspunkt von horizontaler und vertikaler Spiritualität befinden.
Nach dem Trocknen der Füße stehen sich Ritualistin und Anvertrauter wieder auf Augenhöhe gegenüber. Zusammen erreichen sie über einen schmalen Steg den nächsten Raum. In diesem lichtdurchfluteten Saal ist der Boden knöchelhoch mit Talkpuder bedeckt. Der Anvertraute wird dazu angehalten, von nun an seinen Weg alleine weiterzugehen. Es wird das Meer von Talkum, das sich auf der Haut wie trockenes Wasser anfühlt, durchschritten, um über ausgelegte Perserteppiche den letzten Raum zu erreichen. In diesem befindet sich eine Situation, die an das Letzte Abendmahl erinnert. Eine Gemeinschaft von Zwölf findet sich allmählich am Tisch ein und isst und trinkt vom bereitgestellten Brot und Wein. Während man im Wartebereich auf Distanz zueinander sitzen musste, eine Zeitschrift mit relevanten Texten erhielt, und damit jegliche Kommunikation erschwert war, sitzt man nunmehr ganz eng um einen Tisch und bildet eine Gemeinschaft, der die gleiche Erfahrung zuteil wurde. Die individuelle Behandlung verschränkt sich mit dem Erlebnis einer zufälligen Schicksalsgemeinschaft. Ein reger Austausch des Erlebten war anvisiert.
Saß man als Wartender im Fluchtpunkt von Plakaten, die zentralperspektivisch angeordnet waren, ist man nunmehr mit einer monumentalen Wand mit Plakaten konfrontiert, die alle vom Punkt als zentrales Element charakterisiert werden. Durch eine Tür in dieser Wand erreicht man die Außenwelt, in welche der Besucher die gerade erfahrene Haltung dem Anderen gegenüber hinaustragen soll. Die liebevolle Expertise, in deren Genuss der Anvertraute während des Rituals gekommen ist, soll im sozialen Umgang außerhalb der Institution an andere weitergegeben werden. Diese Attitüde trägt eine Kohäsion innerhalb der sozialen Struktur mit.
Gegen Erwartungen hat keiner der Besucher den Warteraum verlassen und sich somit dem Ritual entzogen. Einerseits könnte man diesen Umstand institutioneller Macht zuschreiben, andererseits hat das Team des Ausstellungsraumes auf der Lyss alles daran gesetzt, eine Vertrauensbasis zu schaffen. Schon beim Ankommen wurden die Besucher empfangen, indem man deren Namen aufnahm. Nachdem Jacken und Taschen sicher in Schließfächern untergebracht waren, wurde man in den ersten Saal geführt und unterwiesen, sich Schuhe und Socken auszuziehen und diese in dafür vorbereitete Beutel zu verstauen. In sachlichem, aber freundlichem Ton bekam man die Information, wie man die Schuhe am Ende des Rituals wiedererlangen könne. Es wurde suggeriert, dass jede Handlung wohlüberlegt und nichts dem Zufall überlassen sei. Jede Person sollte sich als solche angesprochen fühlen und daher war in der Wartesituation konstante Präsenz eines Betreuers gegeben. Wasser wurde gereicht und die Zeitschrift verteilt.
Die Ritualistin vermittelte eine Determiniertheit in der Reihenfolge, mit sie ihre Anvertrauten abholte, ohne dass ein Nummernsystem gehandhabt werden musste. Die Handlung der Fußwaschung folgte einer strengen Choreographie, von der nicht abgewichen wurde und die verbale Kommunikation war auf ein Minimum beschränkt: Man vertraute sich selbst und etwas, das einen selbst überstieg. Genau dieser Umstand sorgte für Vertrauen und schuf eine Atmosphäre der Verbundenheit.
Advisors: | Zeilhofer, Hans-Florian |
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Faculties and Departments: | 12 Special Collections > MAS Spiritual Care |
UniBasel Contributors: | Zeilhofer, Hans-Florian |
Item Type: | Thesis |
Thesis Subtype: | Master Thesis |
Thesis no: | UNSPECIFIED |
Thesis status: | Complete |
Last Modified: | 02 Aug 2021 15:28 |
Deposited On: | 16 Oct 2020 13:53 |
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